Traumatisierte Betroffene; Täter-Opfer-Umkehr durch Behörden

Bericht zur Sitzung des Untersuchungsausschusses zum rechten Terror in Neukölln am 16. September 2022

Die Sitzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zum rechten Terror in Neukölln am 16. September 2022 widmete sich erneut den Wahrnehmungen und Erfahrungen der von der rechtsextremen Anschlagsserie Betroffenen. Angehört wurde zuerst der Abgeordnete Ferat Koçak, dessen Auto in der Nacht zum 1. Februar 2018 in der Garage seines Elternhauses in Brand gesetzt worden war und der eindrücklich schilderte, wie viel Glück seine Eltern und er hatten, rechtzeitig aus dem Haus gelangt zu sein. Das Auto des zweiten Zeugen, Detlef Fendt, war bereits ein Jahr zuvor, am 23. Januar 2017, in Brand gesetzt worden. Er und seine Frau leben bis heute in der vom rechten Terror besonders betroffenen Hufeisensiedlung.

Nachhaltige Traumatisierung der Opfer

Die Anschläge haben beide Zeugen nachhaltig traumatisiert. Ferat Koçak sprach von Todesangst in der Tatnacht. Die Flammen des brennenden Autos standen bereits kurz unter dem Dach des Wohnhauses, als sich die Familie retten konnte. Zu diesem Zeitpunkt wusste Ferat noch gar nichts von der Gasleitung in der Garage, die zu explodieren drohte. Nur fünf Minuten später, so habe ihm ein Feuerwehrmann gesagt, wären er und seine Familie nicht mehr so zügig aus dem Haus gelangt. Diese Bilder bleiben. Ferat trug seine Erfahrungen zwar sachlich und gefasst vor, doch ließen Ruhe und Gefasstheit das Erleben nur umso eindringlicher wirken. Stets wachsam und in Alarmbereitschaft sei er seit dem Anschlag: „Wie würden Sie sich fühlen, wenn sie immer damit rechnen müssten, dass jemand einen Molotowcocktail durch die Scheibe wirft und die Eltern im eigenen Haus verbrennen“?

In ruhigen, knappen Worten, doch ebenso eindringlich, beschrieb der Gewerkschafter Detlef Fendt seine Erfahrungen. Fendts Auto stand am 23. Januar 2017 auf der Straße in der Nähe des Wohnhauses, als ein Nachbar ihn geweckt habe: „du komm mal, dein Auto brennt.“ Kurz zuvor hatte das Auto von Mirjam Blumenthal gebrannt. Fendts Schluss daraus: „ach, jetzt bist du dran.“ Schon zuvor waren neben seinem Gartentor Aufkleber der NPD und der Identitären Bewegung aufgetaucht. Fendt macht deutlich, was der Anschlag mit ihm gemacht hat: seine Kinder trauten sich nicht mehr, bei ihm zu übernachten. Die Nazis beobachteten ihn weiter, erinnerten ihn regelmäßig daran, dass es sie noch gebe. Er lebe nicht mehr so unbefangen. Im Mai 2022 brannte das Auto einer jüdischen Nachbarsfamilie. Diese war bereits am 9. November 2021 durch ein Hakenkreuz auf dem Gartentor „markiert“ worden. Fendt ist sich sicher, dass der rechte Terror schlicht weitergehe. Er berichtete, dass er des Öfteren Anrufe auf dem Festnetz erhalte, wo sich niemand melde und dann einfach auflege: „Wer ist so hart, dass er das alles so durchzieht? Das gibt schon irgendwo nen Knick.“

Eindruck der Täter-Opfer-Umkehr

Beiden Zeugen berichteten von Täter-Opfer-Umkehr durch Behörden. So erzählte Fendt, dass ein Polizeibeamter ihm noch in der Tatnacht gesagt habe, dass er sich nicht wundern müsse, dass sein Auto brannte. Fendt hatte einen IG-Metall-Aufkleber am Heck. Auch habe man gleich in der Tatnacht die Versicherungspolice des über 20 Jahre alten Mercedes sehen wollen. Bei der Vernehmung am Folgetag wurde er gefragt, seit wann er denn „NPD-Veranstaltungen störe“. Fendt hatte im Wahlkampf 2016 an einer Gegenkundgebung zu einem NPD-Wahlkampfstand teilgenommen und war schon im Rahmen dieser Kundgebung von Beamten in Zivil „komisch angemacht worden, was wir da wollten.“ Sein Auto hatte Fendt an der Straßenecke sichtbar geparkt, womit naheliegt, dass auch Fotos gemacht worden sein könnten. Bei einer Zeugenvernehmung sei Fendt zudem gefragt worden, ob er immer noch Gewerkschaftsarbeit mache und was er mit der Roten Hilfe zu tun habe – man mache so etwas nicht, man müsse vorsichtig sein. Ein Sicherheitsgespräch habe Fendt bis heute nicht erhalten. Allerdings wurde ihm bei einer Demonstration vor dem Rathaus Tempelhof ein Hinweis angetragen, den der PUA weiter ermitteln muss: etwa zwei Wochen vor dem Brand seines Autos habe es eine Halterabfrage zu seinem Wagen gegeben. Nachforschungen zu diesem Hinweis habe Fendt nicht angestellt. So bleibt dies eine Frage, der der Ausschuss weiter nachgehen muss.

Ferat beschrieb, dass er noch in der Tatnacht von einem Streifenbeamten nach „seinen Wurzeln“ befragt worden sei und ihm gesagt worden sei, dass der Brand auf einen „türkisch-kurdischen Konflikt“ zurückzuführen sein könnte. In Sicherheitsgesprächen vom LKA sei es fast nur um ihn selbst gegangen – sein politisches Engagement, seine Kennverhältnisse, seinen Tagesablauf. Ihm wurde vermittelt, dass keine unmittelbare Gefahr für ihn bestehe. Dennoch seien Verhaltenstipps gefolgt, die genau das Gegenteil suggerierten: wenig berechenbar sein, Wegstrecken ändern, den Schlafort regelmäßig wechseln etc. –Konkrete Rückfragen nach dem behördlichen Wissen zu den mutmaßlichen Tätern und den Hintergründen der Tat seien hingegen abgeblockt worden.

Es verfestigt sich ein Muster: Informationen über die Betroffenen werden von den Behörden abgefragt, aber keine Informationen preisgeben, die den Betroffenen dabei helfen könnten, sich selbst besser zu schützen. Der Eindruck einer Unwucht im Behördenhandeln bleibt. Diese erscheint umso schlimmer, wenn man sich die Lippenbekenntnisse vergegenwärtigt, die nach dem NSU-Skandal zeigen sollten, wie viel sich bei den Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden angeblich verbessert habe.

Vertrauen in Behörden ist weg – aus Fehlern nicht gelernt

Ohnehin ist auch das Vertrauen dieser beiden Zeugen in die Behörden – in den Staat – kaum noch vorhanden. Zum einen kamen im Fall Ferat Koçak immer weitere Versäumnisse ans Licht. Verfassungsschutz und Polizei hatten durchaus Informationen über die Nachstellungen und Datensammlungen durch Sebastian T. und Tilo P. Allerdings waren wichtige Informationen entweder nicht rechtzeitig ausgewertet oder zusammengeführt worden oder unterlagen – wie das Behördenzeugnis des Berliner Verfassungsschutzes – einer Verwendungsbeschränkung. Ferat war nicht gewarnt worden. Auch davon erfuhr Ferat nicht etwa von der Polizei selbst, sondern vom rbb, der ihm Tonbandaufnahmen von G10-Maßnahmen des Verfassungsschutzes vorspielte, in denen die Nazis T. und P. darüber sprachen, wie sie ihn geschickt ausspähen können.

Auch nachdem dieser Fehler eingeräumt wurde, hat man offenbar nichts daraus gelernt: Auf eine Warnung wurde erneut verzichtet, als Ferat ein mit „NSU 2.0“ unterschriebenes Drohschreiben erhielt. Schlimmer noch: auf eine neuerliche Warnung wurde auch verzichtet, als der NSU 2.0 Ferats volle Adresse in einem Drohschreiben gegen ihn verwendete. Von diesem Schreiben erfuhr Ferat erst, als er im Frühling 2022 in Frankfurt am Main im Prozess als Zeuge geladen war. Warum er nicht gewarnt wurde, konnte Ferat nicht sagen: „Hat es was damit zu tun, dass ich Ferat Koçak heiße, dass ich in der Linkspartei bin, dass ich mich engagiere? Warum hat man mich beim zweiten Mal wieder nicht gewarnt?“ Geholfen hätten hingegen die Solidarität der anderen Betroffenen und die Beratungsstellen ReachOut und OPRA. Immerhin habe sich seit Übernahme der Ermittlungen auf Betreiben der Generalstaatsanwältin Koppers der Ton ihm und den anderen Betroffenen gegenüber verändert. Sie würden jetzt gehört und ernster genommen, wenn auch Ermittlungserfolge auf sich warten ließen.

Auch Fendt berichtete über sein mangelndes Vertrauen. Ihm sei vom Staatssekretär Akmann immer signalisiert worden, dass alles „ganz kurz vor der Aufklärung sei“ – doch bis heute ist nichts aufgeklärt. Fendt bemängelte, dass den Worten der politisch Verantwortlichen nichts Substanzielles folge: „Der Staatssekretär war bei uns, um zu sagen, dass die Staatsanwaltschaft die Fälle zusammenlegt. Da geht man zweimal hin, ein drittes Mal und dann kann man das nicht mehr hören.“ An diesem Eindruck änderte auch der Bericht der Neukölln-Kommission erwartungsgemäß nichts. Zwar habe Fendt sich darin wiedergefunden, doch habe der Bericht nicht dazu geführt, dass es neue Maßnahmen gegeben habe oder Ermittlungen anders geführt worden seien. Ferat äußerte sich noch kritischer: Für das Kommissionsmitglied Herrn Diehmer sei der Termin mit ihm lediglich ein Pflichttermin gewesen. Keine der Fragen, die Ferat der Kommission gestellt habe, wurden beantwortet. Auch dieser Eindruck zur Kommissionsarbeit ist bekannt: kritische Nachfragen zum Behördenhandeln und zu den Hintergründen des Neukölln-Komplexes wurden ausgeblendet. Vielmehr zeigt sich, dass die Kommission offenbar nicht in erster Linie zur Aufklärung eingesetzt wurde, sondern um die Betroffenen ruhig zu stellen. Dies blieb – auch aufgrund der mangelhaften Qualität des Berichts – jedoch ohne Erfolg.

AfD will keine Aufklärung, sondern Opfer verunsichern

Auch das armselige Gebaren der AfD-Fraktion sorgte im Ausschuss einmal mehr für Unruhe. Deren Vertreter ereiferte sich, dass Ferat ihm doch den Namen seiner Eltern zu nennen habe, angeblich, damit sie als Zeug:innen geladen könnten. Auf Ferats begründete Ablehnung hin versuchte der AfD-Vertreter ein Ordnungsgeld zu erwirken, was durch den Vorsitzenden zurückgewiesen wurde. Beleidigt geiferte der Vertreter der AfD daraufhin, der PUA sei ein „McCarthy-Ausschuss“, machte damit aber nur deutlich, dass es den Rechtsextremen in keiner Weise um Aufklärung der Verbindungen und Verstrickungen ihres Kreisverbands Neukölln in den Neukölln-Komplex geht, sondern um die Verunsicherung und Verächtlichmachung der Opfer.

Der Ausschuss wird in der nächsten Sitzung weitere antifaschistisch engagierte Personen aus dem Süden Neuköllns befragen.