Der Senat hat keine Strategie für Berlin
Rede von Steffen Zillich in der Aktuellen Stunde zu den Sparplänen und den damit verbundenen Haushaltschaos des schwarz-roten Senats
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die demokratische Opposition hat das ganze Halbjahr über versucht, den Haushalt hier zum Thema zu machen, wo er hingehört. Wir haben Aktuelle Stunden angemeldet, haben Regierungserklärungen gefordert – vergebens. Die Koalition und der Senat wollten das nicht, wollten nicht darüber reden, und deshalb ist es gut, wenn wir jetzt endlich darüber reden.
Wenn ich aus der Koalition höre, man könne erst am 1. Juli etwas sagen, weil da erst Klarheit über die Auflösung der pauschalen Minderausgaben herrsche, ist das sicher kein gutes Argument. Über den Haushalt haben wir auch geredet. Wo war denn da die Klarheit? Auch weil Sie es seitdem geschafft haben, die halbe Stadt schwindelig zu spielen mit Ihren halböffentlichen Selbstgesprächen, müssen wir hier darüber reden. Die Stadt hat ein Recht darauf zu erfahren, was auf sie zukommt, wie der Plan der Regierung und der Koalition ist, ob sie einen Plan hat oder eben nicht.
Die Herausforderungen sind riesengroß. Wir weisen seit Monaten darauf hin. Es droht eine Abbruchkante von mindestens 5 Milliarden Euro in Richtung 2026. Das sind über 10 Prozent des Landeshaushaltes, ohne das Risiko bei den Einnahmen. Das ist ein finanzpolitisches Kata strophenszenario.
Wir wissen auch, die Erfahrungen der Sparjahre, der Haushaltsnotlagejahre zu Beginn der Zweitausenderjahre zeigen sich noch heute in der Berliner Verwaltung und in der Infrastruktur der Stadt. Unter den Bedingungen des akuten Fachkräfte- und Raummangels wäre ein Wieder aufbau weitaus schwerer, als er es nach der Haushaltsnotlagen war. Umso weniger können wir uns ein Wegbrechen von Strukturen leisten.
Normalerweise ist es so: In den Haushaltsberatungen werden die Entscheidungen getroffen, wofür Geld zur Verfügung gestellt werden soll. Dann wissen alle Bescheid und können auf der Grundlage dieser Parlamentsentscheidung sich dem Geschäft des Regierens und Verwaltens widmen. Vor allem aber können die vielen im öffentlichen Dienst und bei den freien Trägern, die jeden Tag hart dafür arbeiten, dass die Stadt funktioniert, und können diejenigen, die Produkte und Dienstleistungen an die Stadt verkaufen wollen, in einem definierten Ressourcenrahmen arbeiten, damit die Stadt funktioniert. Nicht so unter Schwarz-Rot. Im Haushalt wird erst noch mal ordentlich was draufgepackt und das ganze bezahlt mit pauschalen Minderausgaben, also ungedeckten Schecks, und mit Rücklagen, also versiegenden Quellen. Die Ausgabeermächtigungen sind also kurz- wie mittelfristig nichts wert. Der Haushalt ist Makulatur. Die Koalition hat sich ausgezeichnet durch die Abwesenheit von Strategie und durch Entscheidungsverweigerung. Und was ist die Folge? – Seitdem erleben wir eine lähmende Kakophonie von Kürzungsvorschlägen, von Hü und Hott, von klein und kleiner, von du schon, ich nicht. Das Ergebnis ist allüberall Verunsicherung.
Hier mal eine Schweiß-und-Tränen-Rede, die Pose der mutigen und harten Konsolidierungsentscheidung spekuliert ja auch auf Beifall, auch wenn sie vorgibt, sich nicht darum zu scheren, mal ein: Wir verstehen die ganze Aufregung nicht; man wird eh nichts merken –, mal ein Versprechen hier, siehe Hauptstadtzulage, mal ein Dementi da. Was strahlt die Koalition aus? – Sie haben keinen Plan und scheren sich auch jetzt nicht darum, wie es denen da draußen geht.
Nein, eine Strategie gibt es nicht. Darüber trifft man normalerweise eine politische Verabredung in einer Koalitionsvereinbarung, zumal wenn man eine neue Koalition eingeht. Normalerweise gibt es in einem Regierungsprogramm eine finanzpolitische Strategie. Gerade in einer Krise ist das die Grundlage dafür, dass die anderen Verabredungen halten. Das gibt es hier nicht. Das wurde ignoriert. Erzählt wird jetzt von der Koalition: Na ja, da war keine Zeit für eine Strategie, keine Zeit für eine seriöse Finanzplanung, keine Zeit für einen angemessenen Haushalt. Man musste erst einmal die Koalition bauen und Geschenke versprechen. – Aber die Lage war doch bekannt, Raed, oder? Wir haben doch darüber geredet. Habt Ihr euch denn bewusst entschieden, auf eine finanzpolitische Strategie zu verzichten, nach dem Motto: eins nach dem anderen, erst die machtpolitische Koalitionsentscheidung, von der man sich einen Einflusszuwachs verspricht, dann die Symbole, dann – kommt Zeit, kommt Rat – die finanzpolitische Grundlage? Andersherum wäre es wohl zu viel Zumutung für die Partei gewesen. Es ist ja auch kein kleines Ding, mal eben die politischen Vorzeichen zu wechseln. Hat sich übrigens Ihre Hoffnung auf den Einflusszuwachs erfüllt? Aber das führt dann eben zu einer Situation, in der nichts Finanzielles geklärt ist. Aber das 29-Euro-Ticket soll auf jeden Fall kommen. Für wie viele 100 Millionen Euro? Mit welcher Perspektive? Wiederum ohne eine nachhalti ge Ticketstrategie? Das ist doch grotesk.
Kein Plan, keine Linie, Verunsicherung allüberall!
Und nun zu der Liste, die uns gestern oder vorgestern auf den Tisch geflattert ist. Was kann man dazu bereits sagen? – Erstens muss man das mal einordnen. Die neuerliche Liste ist der kleinere Teil der Gegenbuchung zu den ungedeckten Schecks allein in 2024, nicht mal ein Drittel. Zweitens: Mit dem „Niemand wird es merken“ wird es wohl nicht klappen. Drittens: strukturelle Einsparungen sind das ganz überwiegend nicht. Das Ganze geht also 2025 wieder los. Da haben wir das Ganze noch mal. Viertens: Wo gibt es strukturelle Kürzungen? – Im Personalbereich, da sind sie strukturell. Es geht vor allen Dingen um die Polizei, Lehrkräfte und die Feuerwehr. Hier tritt die Koalition denjenigen, die heute in den chronisch unterbesetzten Bereichen des öffentlichen Dienstes arbeiten, faktisch und bildlich in die Magengrube.
Was bedeutet das alles für die Beschäftigten von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten, wo eigentlich mehr Personal versprochen worden ist? Sich ehrlich machen, steht da noch aus. Und wie ernsthaft ist das Ganze? – Ich zitiere mal: In dem Senatsbeschluss steht zur Prozessoptimierung: Für alle Aufgaben, die auch in Zukunft erfüllt werden sollen, sind Maßnahmen zu erarbeiten, aufgrund derer sie effizient ausgeführt werden können. Digitalisierung, Abbau von zu prüfenden Voraussetzungen, Verschlankung, Standardisierung und so weiter. – Aha, denke ich, schau an! Das hört sich an wie eine inhaltliche Idee. Und dann schaue ich mir die Liste an und siehe da: Wo soll denn jetzt gekürzt werden? – Bei Digitalisierung, bei Geschäftsprozessoptimierung, bei Wissenstransfer! Also genau bei den Ressourcen für diese Strategie, die da angemahnt wird.
Was ist denn das? Eine Text-Text-Schere, die Partisanen im Gebälk? Eine Einladung zur ernsthaften Auseinandersetzung sicherlich nicht.
Die Koalition sagt, sie hätte jetzt einen Plan. Aber worin besteht er? – Er besteht im Kern aus zwei Sachen: Einerseits werden finanztechnische Instrumente beschrieben, vor allen Dingen Sperren und die Einschränkung von Verpflichtungsermächtigungen. Zum Zweiten gibt es einen machttaktischen Weg. Der heißt: Alle in der Koalition sollen sich sicher sein, dass es keinem Koalitionsakteur besser geht. Alle müssen bluten. Was man nicht beschreibt, ist: Was heißt das eigentlich für die Stadt? Was heißt das eigentlich für die Menschen? Was heißt das eigentlich in der wirklichen Welt? Wie wollen Sie die Stadt durch die Haushaltskrise bekommen? Darauf kommt es doch an.
Natürlich braucht man ein haushaltsrechtliches Instrumentarium. Natürlich muss man sich überlegen, wie man das Ganze im eigenen Laden durchsetzt. Aber dazu braucht man erst mal einen Plan, wie man die Stadt durch die Krise bringt. Wir haben Vorschläge unterbreitet, wie man das machen kann. Wir haben einen Pakt für die soziale Infrastruktur vorgeschlagen, um ein Mindestmaß an Sicherheit für die soziale Infrastruktur zu haben. Sie haben das brüsk abgelehnt. Stattdessen befleißigen Sie sich eines geradezu absonderlichen Verhaltens gegenüber den Trägern. Hauptstadtzulage: versprochen, gebrochen –, verbindliche Finanzierungszusagen für das laufende Jahr: ewig nicht. Die einen ignorieren oder dementieren geflissentlich die Situation der Träger sowie den finanziellen Rahmen. Die anderen posaunen: Das war erst das Vorspiel, der kleine Anfang. – Was bitte soll die Stadt denn damit anfangen? Die einen erklären empört, sie seien doch die Guten und immer für das Gute. Und die anderen jagen die Ressorts aufeinander, um keine Schwerpunkte setzen zu müssen. Was bitte soll die Stadt denn damit anfangen?
Das ist Konsolidieren durch Verunsicherung. Das geht. Aber das verkraftet die Stadt nicht. Wie bringen wir die Stadt durch die Krise? – Thema Investitionen: Wir haben es schon in den Haushaltsberatungen vorgeschlagen: Wir müssen über Transaktionskredite und über Unternehmensinvestitionen Haushaltsinvestitionen ersetzen, um Zeit zu gewinnen, um die Schieflage zu überwinden. Sie ha ben das zunächst abgelehnt.
Inzwischen nehmen Sie das in den Instrumentenkasten auf, auch weil das Sondervermögen geplatzt ist. Richtig so, aber doch sehr spät, aber einen Weg, was denn jetzt inhaltlich finanziert werden soll, haben Sie nicht. Aber eins wissen wir schon: Mit diesem Nachtragshaushalt, der auf dem Tisch liegt, sind solche Finanzierungen zunächst weiter ausgeschlossen. Dafür ist kein Kreditrahmen vorgesehen. Gleichzeitig hört man, Sie wollen dieses Jahr keinen Nachtrag mehr. Was heißt denn das? Dieses Jahr passiert nichts mehr? Das kann ja wohl nicht sein.
Wie bringen wir die Stadt durch die Krise? – Wir müssen uns um die Einnahmen kümmern, um die Steuerdurchsetzung. Wir haben Vorschläge gemacht. Die haben Sie abgelehnt. Wie bringen wir die Stadt durch die Krise? – Wir müssen die Schuldenbremse abschaffen. Da besteht weitgehend inhaltliche Einigkeit. Aber auch da wird nur der Mund gespitzt, zum Pfeifen fehlen Mut und Luft. Die Situation ist dramatisch. Bisher hat sich die Koalition durch Entscheidungsunfähigkeit und Entscheidungsverweigerung ausgezeichnet. Was bisher vorgelegt wurde, bewegt sich auf der Ebene von Machttaktik und Finanztechnik. Das reicht aber nicht aus. Es reicht nicht aus, sich darum zu kümmern, wie man etwas in Koalition, Senat oder Fraktion zusammenruckelt. Es geht um die Auswirkung auf die Menschen in dieser Stadt.
Wenn man keinen Plan hat, dann trifft es die Schwächsten. Verehrte SPD, auch das wissen Sie ja. Die Instrumente aus der Gruselkiste der Haushaltseinsparungen, Privatisierung, Rückzug des Staates, sind sicherlich am ehesten bei der CDU am Start. Das wird sich die Stadt nicht leisten können. Wir brauchen tatsächlich einen inhaltlichen Plan. – Vielen Dank!