#WirBauenSozial

Ein kommunales Wohnungsbauprogramm für Berlin

Berlin braucht mehr bezahlbare Wohnungen, das merkt nicht nur jede Wohnungssuchende. Immer weiter steigende Mieten fressen immer größere Teile des Einkommens auf. Wohnungen werden zunehmend überbelegt, um sich die Miete zu teilen oder weil eine andere zu erschwinglichen Preisen nicht zu finden ist. Die Unterkünfte für Geflüchtete und Wohnungslose sind überfüllt, während allein in diesem Jahr mehr als 50.000 Schutzsuchende aus der Ukraine in Berlin ankamen.

In dieser Wohnungsnot bricht nun der Neubau ein. Die Wohnungswirtschaft erlebt eine Zeitenwende: Explodierende Baukosten, knappes Baumaterial, hohe Bodenpreise und steigende Zinsen verteuern den Neubau massiv. Die Mieten im Neubau liegen mittlerweile bei bis zu 20 €/m². Eine seriöse Kalkulation von Baukosten ist in diesem dynamischen Umfeld kaum möglich. Aufträge für neue Projekte werden reihenweise storniert. Allein in der ersten Hälfte des Jahres 2022 sanken die Baugenehmigungen von privaten Bauherren um 15 Prozent. Branchenvertreter*innen warnen vor einem kompletten Stillstand des Baugeschehens in den kommenden Jahren. In der Bauwirtschaft drohen Jobverluste und Insolvenzen. Die Neubauziele der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Wohnen und Bauen von 20.000 neuen Wohnungen jährlich sind Makulatur, weil die eingeplanten privaten Investitionen ausfallen.

Der aktuelle Stadtentwicklungsplan Wohnen weist einen Baubedarf von 100.000 „gemeinwohlorientierten“ Neubauten bis zum Jahr 2030 aus, davon sollen die landeseigenen Wohnungsunternehmen mindestens 47.000 neue Wohnungen errichten. Das war bereits unter deutlich günstigeren Rahmenbedingungen ein ambitioniertes Ziel. Umso dringender braucht es in der aktuellen Situation einen Plan, wie diese Mammutaufgabe unter den neuen Bedingungen zu bewältigen ist.

Bezahlbares Bauen als Aufgabe der Daseinsvorsorge

Gerade in der Krise muss der bezahlbare Neubau weitergeführt werden, um den Wohnungsmarkt zu entspannen und der kriselnden Bauwirtschaft eine Perspektive zu bieten. Der Rückzug privater Investoren aus dem Wohnungsbau zeigt: Der Markt kann und wird die Wohnungsfrage nicht lösen, weder im Bestand noch beim Neubau. Ohne Gegensteuern durch deutlich mehr Investitionen in den kommunalen Neubau droht der Wohnungsbau in den kommenden Jahren weitgehend zum Erliegen zu kommen.

Deshalb schlagen wir als Berliner Linksfraktion ein kommunales Wohnungsbauprogramm vor, um künftig mehr bezahlbar zu bauen, den Bestand an kommunalen Wohnungen zu erhöhen und um gleichzeitig der sich abzeichnenden Krise der Bauwirtschaft entgegenzuwirken.

Reform des Sozialen Wohnungsbaus: finanzieren statt fördern

Der Bestand an Sozialwohnungen sinkt in Berlin kontinuierlich, allein in den kommenden vier Jahren fallen weitere 20.000 Wohnungen aus der Bindung. Aktuell stehen 969.000 WBS-Berechtigten Berliner Haushalten nur noch rund 100.000 Sozialwohnungen gegenüber. Seit dem Wiedereinstieg in die Wohnungsbauförderung wurden die Mittel kontinuierlich aufgestockt, um Investoren für den sozialen Wohnungsbau zu gewinnen. Aktuell ist eine Steigerung der jährlichen Zuführung an den Wohnraumförderfonds von 242 Mio. (2022) auf 487 Mio. Euro (2025) geplant.

Auch mit diesem Wachstum wäre der angestrebte Bau von 5000 Sozialwohnungen pro Jahr nicht ausfinanziert. Die steigenden Baukosten vergrößern die Lücke zwischen den Erstellungskosten und den angestrebten Sozialmieten zunehmend. Der Förderaufwand pro neu geförderte Wohnung hat sich in den vergangenen acht Jahren mehr als verdreifacht.

Das eigentliche Problem liegt aber darin, dass die bereitgestellten Mittel insbesondere von privaten Unternehmen nicht abgerufen werden. Von 2014 bis 2021 wurden in Berlin 16.582 Sozialwohnungen gefördert. 90 Prozent der Fördermittel wurden von den landeseigenen Wohnungsunternehmen (LWU) abgerufen. Gleichzeitig haben private Unternehmen kaum Sozialwohnungen gebaut, der Markt baut für die Rendite und nicht für den Bedarf.

Direkte Finanzierung des kommunalen Neubaus

Wir wollen daher das bisherige Fördersystem des sozialen Wohnungsbaus bestehend aus zinsvergünstigen Darlehen und Zuschüssen auf eine Finanzierung des kommunalen Wohnungsneubaus durch eine direkte Zuführung von Eigenkapital an die LWU umstellen.

Diesen Schritt verbinden wir mit einer Neuaufstellung des kommunalen Wohnungsbaus. Die Bestandsbewirtschaftung wird von der Finanzierung und Umsetzung des Neubaus weitgehend getrennt. Die Bestandsbewirtschaftung bleibt bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen und wird weitgehend vom Druck befreit, Überschüsse für die Investitionen in den Neubau zu erwirtschaften. Damit erhalten die LWU mehr Möglichkeiten, ihre Mittel auf die Instandhaltung und Modernisierung zu konzentrieren und die Mieten stabil zu halten.

Die Neubauaktivitäten der LWU sollen in einem neuen kommunalen Projektentwickler gebündelt werden, als gemeinsamer Dienstleister der sechs landeseigenen Gesellschaften. Statt einen Anteil von Sozialwohnungen aus Überschüssen aus der Bestandsbewirtschaftung und durch teure freifinanzierte Wohnungen quer zu finanzieren, schaffen wir durch die direkte Zuführung von Eigenkapital künftig ausschließlich bezahlbare Wohnungen im kommunalen Neubau. Dafür stellen wir jährlich bis zu 1 Milliarde Euro bereit und passen die Summe ggf. an die Entwicklung der Baukosten sowie den Neubaubedarf an. Durch die Eigenkapitalzuschüsse stärken wir die Investitionsfähigkeit der landeseigenen Wohnungswirtschaft und erleichtern neue Kreditaufnahmen. Pro Jahr entstehen so 7.500 neue kommunale Wohnungen mit einer Zielmiete von – im Durchschnitt - 7 bis 7,50 /m².

Zahlengrundlage

Bei Erstellungskosten von etwa 4.600 €/m² (Baukosten: Ø3.500 € + Bodenpreis pro m² WF: 1.100 €) und einer durchschnittlichen Wohnungsgröße von 60m² ergeben sich derzeit durchschnittliche Kosten pro Wohnung von 276.000 €.

Neben einem EK-Anteil von 20 Prozent (55 TEUR, weit weniger als bisher durchschnittlich), der von den LWU aufzubringen ist, bringt das Land einen EK-Zuschuss von 130.000 € pro Wohnung (47 Prozent) ein. Damit muss nur für das verbleibende Drittel der Kosten Fremdkapital aufgenommen werden und es ist möglich, die neuen Wohnungen bei einer Nettokaltmiete von 7 bis 7,50 €/qm nachhaltig zu bewirtschaften. Nachhaltig heißt: Die Unternehmen verlieren kein Geld, sie haben aus den neuen Wohnungen keinen negativen cash flow.

130.000 € pro Wohnung x 7.500 Wohnungen p.a. = 975.000.000 € p.a.

Effizienter bauen durch kommunale Bauträger

Die landeseigenen Wohnungsunternehmen haben ihre Neubau-Aktivitäten in den vergangenen Jahren ausgeweitet, die angestrebten 6.000 neuen Wohnungen pro Jahr wurden trotzdem nicht ansatzweise erreicht. Langwierige Verfahren bei der Ausweisung und Erschließung des nötigen Baulands verzögern öffentliche Bauvorhaben. Kostensparende Synergieeffekte durch eine Kooperation der Unternehmen blieben durch das getrennte Agieren der einzelnen Wohnungsbaugesellschaften ungenutzt. Trotz ambitionierter Neubauvorgaben haben die Unternehmen keine eigenen Bau- und Planungskapazitäten aufgebaut und beauftragen stattdessen Generalunternehmer, die für die Erstellung der Neubauten hohe Renditen kassieren. Um ihre Zielzahlen zu erfüllen, kaufen sie zusätzlich von Privaten erstellte Bauprojekte auf dem Markt ein.

Angesichts der galoppierenden Baupreise und kaum noch kalkulierbarer Baukosten erhöhen sich aktuell die Risikoaufschläge bei privaten Projektentwicklungen. Dadurch werden Projektankäufe für die kommunalen Wohnungsunternehmen deutlich teurer und kaum noch wirtschaftlich. Durch den Einbruch privater Bauaktivitäten gelangen ohnehin nur noch wenige Projekte auf den Markt, die die landeseigenen Unternehmen ankaufen können. In den wenigen Jahren könnte das Angebot von schlüsselfertigen Projekten vollständig versiegen.

Um den kommunalen Neubau auch unter diesen widrigen Marktbedingungen zu ermöglichen, setzen wir auf eine eigenständige Projektentwicklung durch den Aufbau von landeseigenen Bau- und Planungskapazitäten. Neben dem Projektentwickler als gemeinsamer Töchter der landeseigenen Wohnungsunternehmen gründen wir zur Baulanderschließung eine landeseigene Gesellschaft, um künftig schneller und effizienter kommunal zu bauen. An beiden Unternehmen hält das Land eine direkte Beteiligung von jeweils mindestens 25%. Der Projektenwickler vergibt Aufträge an Planungsbüros und schließt langfristige Rahmenverträge mit der Bauwirtschaft ab. In einer öffentlich-öffentlichen Partnerschaft erstellt er die Wohnungen als öffentlicher Generalunternehmer.

Vorteile

  • wir schaffen damit dauerhaft bezahlbare Wohnungen in öffentlichem Eigentum
  • wir steigen weitgehend aus dem System der „sozialen Zwischennutzung“ aus, in dem Sozialwohnungen nach 30 Jahren aus der Bindung fallen und anschließend teuer vermietet werden
  • die Investitionen führen zu einem Ausbau des öffentlichen Wohnungsvermögens.
  • durch die Zuführung von Eigenkapital ist gesichert, dass die Investitionsaufwendungen transparent sind.
  • für den Haushalt wird eine Kreditfinanzierung der Kapitalzuführung ermöglicht und es erfolgt keine jahrelange Vorbelegung von Haushaltsmitteln.
  • der Aufbau eigener, öffentlicher Kapazitäten in der Planung und Projektentwicklung und damit eine größere Unabhängigkeit von den Schwankungen des Marktgeschehens. Damit sorgen wir für eine Beschleunigung und Ausweitung des kommunalen Neubaus und sichern gute Arbeitsbedingungen.
  • Die Bündelung des Wohnungsneubaus in einer Gesellschaft ermöglicht es mit größerer Marktmacht Gegenstrategien gegen explodierende Preise zu entwickeln.

Bezahlbarer Neubau für 80 Prozent der Berliner*innen

Niemand sollte mehr als 30 Prozent seines Einkommens für die Miete ausgeben, das gilt auch für die neuen Wohnungen aus dem kommunalen Wohnungsbauprogramm. Um die Kosten gerecht unter allen Mieter*innen zu verteilen, enthält unser Programm vier einkommensabhängige Mietstufen für die neugebauten Wohnungen:

Vorschlag für einkommensorientierte Mietstufen

MietpreisstufeIIIIIIIV
EinkommenWBS100WBS120WBS140WBS160WBS180WBS200WBS220WBS240
Einstiegsmiete6,50 € / m²7,50 € / m²bis zu 10,00 € / m²

 

Die Vergabe der Wohnungen regeln wir über die Kooperationsvereinbarung zwischen den landeseigenen Wohnungsunternehmen und dem Land Berlin. 50% der Wohnungen werden an Menschen mit einem Einkommen von bis zu 140% der Bundeseinkommensgrenze für einen Wohnberechtigungsschein (WBS) vergeben. Die restlichen 50% der Wohnungen werden je zur Hälfte an Wohnungssuchende mit einem Einkommen von bis zu 180% bzw. bis zu 240% der WBS-Grenzen vergeben. Damit haben etwa 80% der Berliner*innen einen Anspruch auf die bezahlbaren kommunalen Neubauwohnungen. Gleichzeitig bietet sich bei dieser Mietstaffelung die Möglichkeit eine Housing-First-Quote zu etablieren, womit der kommunale Neubau einen effektiven Beitrag zum Abbau von Wohnungslosigkeit leisten würde.

Ökologische Bauwende vorantreiben

Durch die Herstellung und Nutzung von Zement als Baustoff trägt die Baubranche massiv zu den globalen Co2-Emmissionen bei. Um die ökologische Bauwende voranzutreiben, setzen wir beim kommunalen Neubau vermehrt auf ökologische Baustoffe, wie Holz und Lehm, sowie das Recycling von Baumaterialien. Die notwendige Umstrukturierung und Diversifizierung der Berliner Forste bietet die einmalige Chance, Holz für zehntausende neue Wohnungen als kostengünstiges Baumaterial aus hiesigen Forsten zu akquirieren und damit sogar Co2 zu speichern. Mit der Bauhütte 4.0. auf dem ehemaligen Flughafen in Tegel bauen wir ein Cluster für einen innovativen Holzbau auf, in dem Zivilgesellschaft, Forstwirtschaft, Forschung und Entwicklung, Bauindustrie und Stadtentwicklung zusammenkommen und gemeinsam Lösungen für die Herstellung von nachhaltigen Baustoffen entwickeln.

Gute Jobs und eine Ausbildungsbildungsoffensive für das Baugewerbe

Jahrelang waren fehlende Arbeitskräfte und mangelnde Baukapazitäten ein Nadelöhr für jedes Bauprojekt. Durch die einbrechenden Aufträge und sehr viele stornierte Projekte droht die Bauwirtschaft als Schlüsselsektor der Berliner Wirtschaft nun ins Straucheln zu geraten. Auch viele Architektur- und Planungsbüros haben mit der sich verdüsternden Auftragslage zu kämpfen. Durch unser öffentliches Bauprogramm, mithilfe dessen wir in den kommenden zehn Jahren bis zu 75.000 neue Wohnungen erstellen, geben wir der Bauwirtschaft sowie den zahlreichen Architekt*innen und Planer*innen eine Perspektive in der Krise. Unsere Investitionsoffensive in den kommunalen Wohnungsbau sorgt für eine gesicherte Auslastung und Auftragslage in der Bauwirtschaft. Bei der Vergabe von Aufträgen achten wir auf faire Arbeitsbedingungen, gute Löhne und sorgen so für gute Jobs auf dem Bau sowie in den Architektur- und Planungsbüros. Um dem Fachkräftemangel auf dem Bau zu begegnen, starten wir eine Ausbildungsoffensive für das Baugewerbe und sorgen durch finanzielle Förderungen und attraktive Arbeitsbedingungen für ausreichend Nachwuchs.

Perspektive Bauhütte

Nicht nur der kommunale Neubau, sondern auch die notwendige energetische Modernisierung und der altersgerechte Umbau des landeseigenen Wohnungsbestandes sind langfristige Aufgaben weit über das Jahr 2030 hinaus. Um mittelfristig unabhängiger von den Konjunkturen im Baugewerbe zu werden, wollen wir eine eigene kommunale Bauwirtschaft aufbauen. In dieser städtischen Bauhütte werden wir Bauteile seriell vorfertigen, um Kosten zu sparen und damit nicht nur den Wohnungsbau, sondern auch den Neubau von Schulen, Kindergärten oder Verwaltungsgebäuden zu ermöglichen.

Kommunale Wohnungsbauvorhaben und neue Quartiere integriert planen

Die geplante Offensive des kommunalen Wohnungsbaus erfordert eine intensive planerische Vorbereitung und Begleitung. Dabei geht es nicht nur um die zügige Schaffung der planungs- und baurechtlichen Voraussetzungen, es geht um die zeitgerechte Bereitstellung von Mobilitäts-, Bildungs- Sozial- und Freiraumangeboten. Ein lebenswertes Quartier braucht mehr als bezahlbare Wohnungen. Dafür ist die verbindliche Zusammenarbeit von Land und Bezirken, verschiedenen Fachressorts und Versorgungsträgern eine zwingende Voraussetzung.

Frühzeitige Beteiligung und Mehrwerte für die Nachbarschaften durch Neubau

Wohnungsbau kann nur bessere Akzeptanz finden, wenn er die bestehenden Nachbarschaften einbindet und Mehrwerte schafft. Die Leitlinien für die Partizipation im Wohnungsbau durch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sind dafür unser Maßstab. Daher setzen wir auf eine frühzeitige und umfassende Beteiligung der Anwohner*innen und denken den Ausbau der sozialen Infrastruktur beim Neubau mit.

Nicht wenige kommunale Bauflächen liegen in bereits bestehenden Siedlungen. Die Nachverdichtung gerät damit häufig in Konflikt mit der notwendigen Versorgung mit Grünflächen in den Nachbarschaften. Um die Versiegelung von Grünflächen in bestehenden Quartieren auf ein Minimum zu begrenzen, wird Berlin eine aktivere Ankaufspolitik beim Boden verfolgen, um alternative Bauflächen zu erschließen.

Förderprogramme für Genossenschaften und Private

Wir legen einen deutlichen Schwerpunkt auf den kommunalen Neubau. Parallel wollen wir auch den genossenschaftlichen Neubau und den sozialen Wohnungsbau durch private Investoren weiter fördern und dafür die Bundesmittel der sozialen Wohnungsbauförderung in Anspruch nehmen. Neben der Finanzierung des öffentlichen Neubaus durch Eigenkapitalzuführungen, werden wir daher die Genossenschafts- und Wohnungsbauförderung durch zinsvergünstige Darlehen und Zuschüsse weiterführen. Private Bauherren, die durch die Vorgaben der kooperativen Baulandentwicklung einen Anteil mietpreis- und belegungsgebundene Wohnungen errichten müssen, können auf dieses Förderprogramm zugreifen.