Gemeinschaftsschule wird Regelschule

Und wie weiter? Fachgespräch

In zehn Jahren hat sich die Gemeinschaftsschule als Er­folgsmodell erwiesen, das Schule macht. 2008 gingen die ersten 11 Gemeinschaftsschulprojekte in Berlin im Rahmen einer Pilotphase an den Start. Gegenwärtig gibt es 24 Gemeinschaftsschulen. Die Gemeinschaftsschulen sind in ihrer Mehrzahl bereits zu Schulen von der Jahrgangsstufe 1 bis 13 aufgewachsen. 2016 legte die wissenschaftliche Begleitung der Pilotphase ihren Abschlussbericht vor, der belegte, dass es Gemeinschaftsschulen gelingt, den Bildungserfolg ihrer Schüler*innen von deren sozialer Herkunft abzukoppeln und sich zu Schulen für alle zu entwickeln, in denen alle erfolgreich lernen können: hochbegabte Kinder und wie auch Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf.

Im Herbst 2018 wird das Abge­ordnetenhaus eine Änderung des Schulgesetzes beraten, mit der die Gemeinschaftsschule als schulstufenübergrei­fende, inklusive Regelschulart im Schulgesetz verankert wird. Darüber, wie es jetzt weitergeht und ein künftiges Förderkonzept zur Stärkung der Gemeinschaftsschule aussehen kann, diskutierten Schulleitun­gen, Lehrer*innen,  Eltern und Schüler*innen der Gemeinschaftsschulen und Politikerinnen der Koalitionsfraktionen am 20. September 2018 in einem Fachgespräch, zu dem die Linksfraktion eingeladen hatte.

Carola Bluhm, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion, blickte in ihrer Begrüßung darauf zurück wie das Pilotvorhaben Gemeinschaftsschule entwickelt wurde und schließlich Eingang in den zweiten rot-roten Koalitionsvertrag für die Wahlperiode von 2006 bis 2011 fand.

Bildungssenatorin Sandra Scheeres zeigte sich in ihrem Grußwort beeindruckt von den Ergebnissen, die die Gemeinschaftsschulen in den zurückliegenden 10 Jahren erreicht haben und mit denen sie sich als inklusive Schule, als Schule für alle profiliert haben. Es würde nicht bei den 24 Gemeinschaftsschulen bleiben. Weitere kommen hinzu, unter anderem aus den 60 Schulen, die im Rahmen der Schulbauoffensive neu gebaut werden. Und auch die wissenschaftliche Begleitung wird fortgesetzt.

Melanie André und Ann-Katrin Schwindt von der Heinrich-von-Stephan Schule zogen eine beeindruckende Bilanz einer Schulentwicklung von einer reinen Hauptschule über eine integrierte Haupt-Realschule in den 90er Jahren hin zu einer Gemeinschaftsschule von der ersten bis zur 13 Klasse in der Pilotphase. Dies ging ständig mit der Weiterentwicklung der Schulkonzepte einher, bis zum jetzt vorliegenden inklusiven Schulkonzept. (Hier nachzulesen.)

„Inklusion in der Gemeinschaftsschule: Anspruch und Wirklichkeit“ war auch Schwerpunkt der Gesprächsrunde mit Birgit Danicke (Paul-und-Charlotte-Kniese-Schule, inklusive Schwerpunktschule), Annedore Dierker (Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule) und Mario Dobe (Senatsververwaltung für Bildung, Jugend und Famile). Erwartungsgemäß spielten hier die eher schwierigen Ausstattungs- und räumlichen Bedingungen sowie auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine Rolle.

Robert Giese (Fritz-Karsen-Gemeinschaftsschule, Sprecher des Netzwerkes Berliner Gemeinschaftsschulen) hatte zu Beginn die erfolgreiche Arbeit der Gemeinschaftsschulen hervorgehoben. Sie führen ihre Schülerinnen und Schüler zu Abschlüssen, darunter zunehmend mehr von ihnen zum Abitur. Die Erfolge wurden erreicht, obwohl die Gemeinschaftsschulen im Vergleich zu Integrierten Sekundarschulen (ISS) und Gymnasien, jeweils einen überdurchschnittlichen Anteil von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, nichtdeutscher Herkunftssprache sowie aus armen Verhältnissen aufweisen. Er leitete daraus Forderungen an die Politik ab, die im nachfolgenden Fishbowl diskutiert wurden. (Hier nachzulesen.)

Weitere Impulse zu „Erwartungen an und Ideen für ein künftiges Förderkonzept zur Stärkung der Gemeinschaftsschule“ gaben Carola Ehrlich-Cypra (Sprecherin des Elternnetzwerkes Berliner Gemeinschaftsschule und Rahel Willuhn (Schülerin der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule, 11. Jahrgangsstufe). Rahel Willuhn, die seit zehn Jahren eine Gemeinschaftsschule besucht, hob hervor, dass sie in allen Schuljahren mit Kindern mit Handicap  gemeinsam in einer Klasse gelernt hat, was für sie völlig normal sei. Carola Ehrlich-Cypra benannte drei Aspekte für die Stärkung der Gemeinschaftsschulen. Das sind zum einen die eigene Oberstufe, die von Bedeutung für die Schulwahl ist, die Verbesserung der Ausstattung für die Inklusion und die Gleichbehandlung von ISS und Gemeinschaftsschulen bezogen auf die Aufnahmebedingungen in die 7. Jahrgangsstufe. Auch die ISS müssten alle Schüler*innen aufnehmen und dürften nicht bei Übernachfrage  nach Notendurchschnitten aufnehmen. Außerdem würde auch nicht genügend für die Gemeinschaftsschule geworben.

Marianne Burkert-Eulitz (bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen) verwies darauf, dass die Koalitionspolitikerinnen bis vor einigen Monaten um den Gesetzentwurf zur Verankerung der Gemeinschaftsschule als Regelschule gerungen haben. Ein Konzept zur Stärkung der Gemeinschaftsschulen, das von allen gewollt ist, müsse mit den Praktikern erarbeitet werden und dann Eingang in die Beratungen zum nächsten Haushalt 2020/2021 finden. Maja Lasić (bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion) hält die Gemeinschaftsschule ebenfalls für ein Erfolgsmodell, das gestärkt werden müsse. Allerdings wolle die SPD die Struktur so behalten wie sie ist und nicht am Probejahr für das Gymnasium rütteln. Die gymnasiale Oberstufe sei ein Schlüssel für die Gleichwertigkeit zum Gymnasium und auch über die Ausstattung der Gemeinschaftsschulen müsse intensiver gesprochen werden. Die Aufnahmeregelungen für das Gymnasium sollten nicht geändert werden. Regina Kittler (bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion) hält die jetzige Fassung der Schulgesetzänderung zur Gemeinschaftsschule für einen Kompromiss von drei Partnerinnen. Über die Aufnahmeregelungen sei heftig diskutiert worden. Für die Errichtung neuer Schulen als Gemeinschaftsschulen sind die Bezirke als Schulträger von entscheidender Bedeutung. Die Ausstattung der Gemeinschaftsschule müsse verbessert werden. Einen Schwerpunkt bildet die Schaffung multiprofessioneller Teams an den Schulen.

In der Fishbowl-Diskussion, moderiert von Ulla Widmer-Rockstroh, gab es viel Zustimmung für die von Robert Giese vorgetragenen Forderungen aus dem Netzwerk Berliner Gemeinschaftsschulen, so auch von Monika Buttgereit (Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Bildung der Berliner SPD). Zu den Aufnahmebedingungen gab es den Vorschlag, dass alle übernachgefragten Schulen 50 Prozent ihrer Plätze verlosen.