Lehrkräftemangel lösen – ohne erneute Verbeamtung

In der aktuellen Debatte um den Lehrkräftemangel in Berlin wird immer wieder die Wiedereinführung der Verbeamtung von Lehrerinnen und Lehrern ins Spiel gebracht. Die Linksfraktion Berlin positioniert sich gegen eine Wiedereinführung der 2004 abgeschafften Verbeamtung, denn dadurch kann das Problem des Lehrkräftemangels nicht gelöst werden.

In einem Beschluss (vom 17. März 2019) begründen wir unsere Position und machen konkrete Lösungsvorschläge.

Zusammenfassung

1. Was sagt der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag?

Unter dem Abschnitt „Gute Bezahlung in Landes- und Tochterunternehmen“ (S. 141f) trifft er eine eindeutige Aussage:

Die Koalition spricht sich grundsätzlich für den Vorrang von Angestelltenverhältnissen vor Beamtenverhältnissen aus. Neue Beamtenverhältnisse sollen nur dort eingegangen werden, wo es aus hoheitlichen Gründen erforderlich ist.

2. Warum wir nicht wieder verbeamten wollen:

Lehrkräfte nehmen keine hoheitlichen Aufgaben wahr und müssen deshalb keine Beamt*innen sein. Hoheitliche Aufgaben werden höchstens von Schulleitungen wahrgenommen.

Verbeamtung hilft nicht gegen den Mangel an Lehrkräften: In allen Bundesländern fehlen derzeit Lehrkräfte, vor allem an Grundschulen. Nach einer offiziellen Prognose soll die Zahl der Schüler*innen bis 2030 bundesweit um 278.000 steigen. In Berlin sollen es 118.000 mehr werden. Alle anderen Bundesländer verbeamten und haben trotzdem die gleichen Probleme wie Berlin. Trotz Verbeamtung hatte zum Beispiel Nordrhein-Westfalen im August 2018 3700 unbesetzte Stellen. In Sachsen wurde im März 2018 verkündet, dass die Lehrkräfte bis zu einem Alter von 42 Jahren (im Jahr 2018) und alle neu einzustellenden Lehrkräfte in den nächsten fünf Jahre verbeamtet werden. Trotzdem hat sich die Lage nicht entspannt: 870 Lehrkräfte bewarben sich zum Schuljahr 2018/19 auf 1100 ausgeschriebene Stellen, nur 71 Beamt*innen wechselten statuswahrend nach Sachsen. In fast allen Bundesländern steigt zudem die Anzahl der Quer- oder Seiteneinsteiger*innen.

Verbeamtung schwächt die Solidargemeinschaft: Durch eine Wiedereinführung der Verbeamtung würde den Sozialversicherungssystemen der Krankenversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung eine große Gruppe von überdurchschnittlichen Einzahler*innen fehlen. Damit würden die Sozialversicherungssysteme finanziell geschwächt.

Neue Gerechtigkeitslücken entstehen: Selbst, wenn alle neu einzustellenden Lehrkräfte und die, die in den letzten 15 Jahren eingestellt wurden, verbeamtet würden, dürften etwa 5000 Lehrkräfte, die über 50 Jahre alt sind oder aus anderen Gründen die Zugangsbestimmungen nicht erfüllen, nicht verbeamtet werden.

Verbeamtung erhöht die Zahl der ausgebildeten Lehrkräfte nicht. Nur Berlin hat bisher die Anzahl der Studienplätze verdoppelt, obwohl in allen Bundesländern in den letzten 20 Jahren Studienplätze für das Lehramt abgebaut wurden und der Bedarf in allen Bundesländern deutlich steigt. Berlin bildet also für den erhöhten Bedarf im Bund mit aus, da viele, die auf Lehramt studieren wollen, in ihrem eigenen Bundesland keinen Studienplatz bekommen.

Es gibt keine Berlinflucht von jungen Lehrkräften. Immer wieder wird behauptet, junge Lehrer*innen würden Berlin in Scharen verlassen, weil sie hier nicht verbeamtet werden. Die Fakten widersprechen: Die Bewerbungen für Referendariate in Berlin sind dreifach bis doppelt so hoch wie die Zahl der aufgenommenen Referendar*innen. Nach dem beendeten Referendariat bewerben sich 75 – 80 Prozent der in Berlin ausgebildeten Lehrer*innen auch um eine Stelle in Berlin. Diese Bewerbungen sind bei jährlichen Schwankungen nicht zurückgegangen. Die Bewerbungen von Lehrer*innen in Berlin, die ihr Referendariat in anderen Bundesländern gemacht haben, haben sogar deutlich zugenommen: 2013 waren es 423 Bewerbungen, 2018 bereits 762.

Hohe Kosten: Aufgrund der Regelungen für die Beihilfezahlungen und die Pensionen für Beamte sind die Kosten, die das Land für verbeamtete Lehrkräfte langfristig aufwenden müsste, deutlich höher als für angestellte Lehrer*innen. 10 bis 15 Prozent mehr müsste die öffentliche Hand laut Finanzsenator Matthias Kollatz dafür ausgeben. Dass die Pensionsregelung für Beamt*innen ein deutlich teureres System darstellt, war auch einer der Gründe, warum die Verbeamtung in Berlin 2004 beendet wurde.

3. Der Lehrkräftemangel kann anders gelöst werden:

Berlin befindet sich aufgrund des Fehlens von qualifizierten Lehrkräften nicht nur in einer Mangelsituation, sondern in einer Notlage. Unsere Vorschläge, um die Situation so schnell wie möglich zu verbessern.

  1. Die Bedingungen für angestellte Lehrkräfte müssen weiter an die der Beamt*innen angeglichen und Gerechtigkeitslücken geschlossen werden, zum Beispiel durch Zulagen. Bereits heute gilt, dass neu angestellte Lehrkräfte in der Entgeltgruppe E13 (TV-L) sofort mit Erfahrungsstufe 5 eingestuft werden, also 5.458 Euro brutto im Monat verdienen.
  2. Bewerbung und Einstellung von Lehrkräften müssen durch die Senatsverwaltung für Bildung koordiniert und kontrolliert werden. Alle Bewerber*innen, die die Anforderungen erfüllen, aber in den Regionalverbünden nicht vermittelt wurden, müssen weitervermittelt werden. Dabei müssen auch Einstellungen möglich sein, ohne das herrschende Casting-Verfahren zu durchlaufen. Das Casting-Verfahren gehört generell auf den Prüfstand. Wir wollen, dass eine Clearingstelle geschaffen wird, die die Bewerber*innen unterstützt und bei Konflikten vermittelt.
  3. Ein Onlineportal soll eingerichtet werden, in dem alle Stellen veröffentlicht und ständig aktualisiert werden. Bewerbungen sollten auch direkt für eine Schule möglich sein. Einstellungen müssen ständig und nicht nur zum Schulhalbjahr vorgenommen werden.
  4. Das Referendariat muss besser bezahlt und organisiert werden. Bei entsprechender Leistung soll es verkürzt werden können. Einstellungszeiträume müssen verändert, das berufsbegleitende Referendariat gefördert und Teilzeit möglich gemacht werden.
  5. Wir wollen, dass mit den Hochschulen verhandelt wird, um Berlin schnell und besser mit Lehrkräften zu versorgen (Zum Beispiel: Semesterorganisation, Erhöhung der Abschlussquote, Stipendien, Zusatzstudium auf Lehramt für Masterabsolvent*innen).
  6. Bachelorabsolvent*innen einstellen und neue Berufsprofile für sie schaffen, um Lehrkräfte zu unterstützen und zu entlasten.
  7. Ergänzung der Werbekampagnen durch Wertschätzungskampagnen.
  8. Multiprofessionelle Teams durch die Einstellung von Sozialpädagog*innen, Schulsozialarbeiter*innen, pädagogischen Unterrichtshilfen, IT-Fachleuten, Verwaltungsleiter*innen, Werkstattmeister*innen, Laborant*innen, Assistent*innen und Gesundheitspersonal schaffen. Das wird zur Qualitätsverbesserung der Bildung und zur Entlastung der Lehrkräfte beitragen.
  9. Die Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte müssen attraktiver werden. Mit der Schulbau- und Sanierungsoffensive wollen wir bessere Lehrbedingungen wie eigene Arbeitsplätze und bessere technische Ausstattung schaffen. Außerdem braucht es besseres Gesundheitsmanagement und Entlastungsstrategien.