Gesetzentwurf der Volksinitiative für mehr Videoüberwachung unzulässig

Das „Aktionsbündnis für mehr Videoaufklärung und Datenschutz“ hat im vergangenen Jahr ein Volksbegehren mit dem Ziel gestartet, die Videoüberwachung im öffentlichen Raum in Berlin in erheblichem Maße auszudehnen. Die Initiatoren des Volksbegehrens haben dazu einen Gesetzentwurf für ein „Artikel-Gesetz für mehr Sicherheit und Datenschutz in Berlin“ vorgelegt.

Die Linksfraktion Berlin hat Prof. Dr. Fredrik Roggan, Professor für Strafrecht an der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg, gebeten, den vorgelegten Gesetzentwurf auf seine verfassungsrechtliche Zulässigkeit hin zu begutachten.

Aus dem Gutachten ergibt sich, dass der Gesetzentwurf  nicht im Einklang mit höherrangigem Recht steht und deshalb aus Sicht der Linksfraktion nicht zulässig ist. Mit dem Gesetzentwurf würde insbesondere die Möglichkeit von unbemerkter, also nicht öffentlich gekennzeichneter Videoüberwachung im öffentlichen Raum geschaffen. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Videoüberwachung als präventive Maßnahme zur Verhütung von Straftaten einerseits und der Videoüberwachung zum Zweck der Strafverfolgungsvorsorge andererseits. Im Bereich der nicht zwingend offenen Überwachung zum Zwecke der Strafverfolgung hat Berlin jedoch keine Gesetzgebungskompetenz, sondern der Bund. An vielen Stellen bleibt der Gesetzentwurf außerdem unbestimmt, so zum Beispiel bei der Definition von Orten, an denen Videoüberwachung möglich sein soll. Damit ist der Einstieg in eine nahezu flächendeckende Videoüberwachung gemacht. Auch die Verhältnismäßigkeit wird an vielen Stellen nicht gewahrt. So wären mit dem Gesetzentwurf beispielsweise auch Tonaufnahmen möglich, mit denen Gespräche auf öffentlichen Plätzen mitgeschnitten werden könnten.

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Zusammenfassung der Ergebnisse

Von Prof. Dr. Fredrik Roggan

  1. Der Bundesgesetzgeber hat im Bereich der nicht-erkennbaren Datenerhebungen und -speicherungen durch technische Mittel außerhalb von Wohnungen zum Zwecke der Strafverfolgung von seiner Gesetzgebungskompetenz in abschließender Weise Gebrauch gemacht. Insoweit ist der Landesgesetzgeber an der Schaffung von Befugnissen mit strafverfolgungsvorsorgendem Charakter gehindert. Weil § 24a Abs. 2 ASOG-E die Möglichkeit zu nicht-erkennbaren Videoüberwachungen einschließlich entsprechend motivierten Datenspeicherungen eröffnet, wäre ein Volksbegehren mit dem Inhalt des gegenständlichen Entwurfs nach hiesiger Ansicht insgesamt unzulässig im Sinne von § 11 Abs. 1 S. 1 AbstG.
     
  2. Die Regelung zu Videoüberwachungen an gefährdeten Objekten nach § 24a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ASOG-E begegnet unter Bestimmtheitsgesichtspunkten erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
     
  3. Die Soll-Regelung hinsichtlich einer dauerhaften Videoüberwachung von „gefährlichen Orten“ ist mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) abgeleiteten Bestimmtheitsgrundsatz nach hiesiger Auffassung unvereinbar.
     
  4. Bei der Wendung von einer „möglichst intelligenten Videoaufklärung“ in § 24a Abs. 1 S. 4 ASOG-E handelt es sich nicht nur um einen in der Gesetzessprache untunlichen Modebegriff, sondern auch unter Bestimmtheitsgesichtspunkten untragbare Formulierung, die im Ergebnis als Gebot einer sukzessiven Überwachungsoptimierung verstanden werden könnte.
     
  5. Die fehlende Regelung, wann eine Videoüberwachung nicht als solche erkennbar sein muss (§ 24a Abs. 2 ASOG-E), ist mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) abgeleiteten Bestimmtheitsgrundsatz nach hiesiger Auffassung unvereinbar.
     
  6. Der Verweis von § 24a Abs. 4 ASOG-E „auf sich selber“ ist offensichtlich unsinnig.
     
  7. Die fehlende – präzise! – Festlegung auf eine maximal zulässige Dauer des „Pre-Recording“ bei Videoüberwachungen zur Eigensicherung (§ 19a Abs. 1 S. 3 ASOG-E) ist mit dem Bestimmtheitsgrundsatz nach hier vertretener Ansicht unvereinbar.
     
  8. Nicht-erkennbare Videoüberwachungen im öffentlichen Verkehrsraum (§ 24a Abs. 2 ASOG-E) sind mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (im engeren Sinne) nach hier vertretener Auffassung klar unvereinbar.
     
  9. Unter Zurückstellung der unter 8. genannten Bedenken sind insbesondere nicht-erkennbare Tonaufnahmen im öffentlichen Verkehrsraum (§ 24a Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit Abs. 2 ASOG-E) mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht vereinbar.
     
  10. Eine Absenkung der Eingriffsschwelle für Videoüberwachungen unter das Niveau für Identitätsfeststellungen an gefährlichen Orten im überkommenen Sinne begegnet unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten erheblichen Bedenken.