Homophobie ist ein gesamtgesellschaftliches Problem

Ältere und neuere Studien belegen, dass ein großer Teil der Bevölkerung homophob ist. Ein Aktionsplan gegen Homophobie ist aber nicht die richtige Antwort.

39. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin in der 16. Wahlperiode zum Antrag »Berliner Aktionsplan gegen Homophobie«

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Überfälle auf Lesben und Schwule werden anders wahrgenommen. Das heißt aber nicht, dass es sie bislang nicht gegeben hat. Bei denjenigen, die sich permanent auf die Simon-Studie berufen, frage ich mich, wo wir eigentlich früher gelebt haben. Es gibt reichlich Materialien und statistisches Dokumentationsmaterial wie beispielsweise eine vom Bundesforschungsministerium finanzierte repräsentative Studie von 1991, nach der 42 Prozent der West- und 36 Prozent der Ostdeutschen folgender vorgegebener Aussage zustimmen:

In der Gegenwart von Homosexuellen kann einem körperlich unwohl werden.

Der Soziologe Michael Bochow zieht darauf die Schlussfolgerung, dass noch mindestens ein Drittel der deutschen Bevölkerung als stark homophob eingestuft werden muss. Ein weiteres Drittel ist ambivalent, aber keinesfalls frei von ablehnenden oder klischeehaften Einstellungen.

Zwar kann ein Rückgang von Homophobie seit den 70er Jahren aus einigen ernst zu nehmenden Hinweisen abgeleitet werden, aber jüngere Erfahrungen wie die repräsentative Befragung von 669 12-17jährigen Jugendlichen des Marktforschungsinstituts Iconkids & Youth von 2002 zeigen alarmierende Befunde. 71 Prozent der Jungen und 51 Prozent der deutschen weiblichen Jugendlichen haben negative Einstellungen gegenüber Lesben und Schwulen.

Homophobie und Heterosexismus haben ihre Ursachen in sozialem Erlernen von Vorurteilen und Stereotypen. In einer Gesellschaft, die von Heteronormativität geprägt ist, gibt es viele Gelegenheiten, eine heterosexistische Einstellung zu erwerben und wohl auch, eine solche Einstellung auszuleben. Wir sprechen hier über die in der Breite der Gesellschaft verankerten Denkweisen, die darauf beruhen, dass es ein bestimmtes vorzugswürdiges Bild von sexuellen und lebensweltlichen Identitäten gibt. Dieses Bild kann ein bestimmtes Geschlechterrollenverständnis als Grundlage haben, kann in der Beschwörung besonderer heteronormativer Beziehungsmuster bestehen, ist vor allem unter Männern sehr verbreitet und gedeiht in autoritären gesellschaftlichen unter sozialen Verhältnissen besonders gut. Hier muss angesetzt werden, Homophobie zu bekämpfen.

Das Ganze hat drei Ebenen. Erstens: die rechtliche Gleichstellung unterschiedlicher Lebensweisen und Entwürfe. Zweitens: die gesellschaftliche Ächtung von und Auseinandersetzung mit heteronormativen und sexistischen wie homophoben Einstellungen. Drittens: Verfolgung und Verurteilung von Straftaten, denen ein heterosexistischer und homophober Hintergrund zugrunde liegt.

Zu erstens und drittens kann man sagen, dass die Gleichstellung hier in Berlin gut läuft. Auf Bundesebene läuft sie noch nicht ganz so gut. Aber leider ist das noch kein Konsens im ganzen Haus. Nachdem ich eben von Herrn Steuer die Bekenntnisse gehört habe, bin ich überzeugt davon, dass die nächste Abstimmung über die Gleichstellung von Lebenspartnerschaften und Ehe hier im Parlament auch von der CDU-Fraktion komplett getragen, und nicht nur von knapp der Hälfte.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD –
Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Was die Verfolgung von Straftaten angeht, ist die größere Aufmerksamkeit ein gutes Zeichen. Daran entzündet sich auch die Debatte um heterosexistische Einstellungen. Der zweite Punkt ist der schwierigste, weil Einstellungen von Menschen nicht angeordnet werden können. Es passiert zwar schon viel; es könnte aber immer noch mehr sein. Das enthebt uns nicht der Pflicht zu evaluieren, was passiert und zu schauen, welche Ansätze richten waren, welche möglicherweise überarbeitet werden müssen.

[Zuruf]

Ich höre schon wieder das Wort Beauftragte. Herr Birk, ich habe die Befürchtung, wir werden zukünftig nur dann einen Verantwortlichen haben

[Zuruf des Abg. Thomas Birk (Grüne)]

– Das Problem ist, es landet dann im Fach des Sekretariats eines überarbeiteten beauftragten Lehrers. In der Sache selbst ändert sich jedoch gar nichts. Das Problem sind die Schulkollektive. Unterhalten Sie sich mit Kollegen, die in solchen Projekten täglich arbeiten.

Den Antrag kann man zum Anlass nehmen, darüber zu diskutieren. Bekenntnisse und Aktionismus bringen jedoch wenig. Das ist eher ein Bohren dicker Bretter und der Versuch des Kollegen Steuer, schlimme homophobe Gewalttaten dazu zu nutzen, um sich als Tabubrecher zu inszenieren und das gesellschaftliche Problem Homophobie – übrigens ein zutiefst europäisches Phänomen – auf dem Rücken der ohnehin strukturell diskriminierten Migranten zu entsorgen. Das ist zurückzuweisen, ganz klar.

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den Grünen]

Stattdessen sollten wir Lesben und schwule Emigrantencommunities unterstützen und spezifische Ansprachen für spezifische Personengruppen entwickeln. Herr Steuer, Ihre Fraktion ist Ihr Handlungsfeld. Sie können dort beweisen, welche Durchsetzungskraft Sie haben. Damit haben Sie genug zu tun.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Wir sind in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung gefragt. Dazu kann die Befassung mit dem Thema im Parlament ein Beitrag sein. Wir werden uns an dieser Diskussion beteiligen. Es kommt aber vor allem darauf an, etwas zu tun und nicht zu lamentieren. Dazu braucht es keine Abgeordnetenhausbeschlüsse, sondern kontinuierliches Handeln.

Lieber Herr Birk, wenn Sie mich schon zitieren, dann zitieren Sie mich vollständig. Ich habe im »Tagesspiegel« gesagt: »Diesen Kampf nimmt uns niemand ab, aber der Staat kann uns dabei helfen.« An welcher Stelle er und wie effektiv er uns dabei helfen kann, werden wir diskutieren. – Vielen Dank.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

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