"Berlin Innovation Hub"

Katalin Gennburg

Nirgendwo ist im FDP-Antrag eine Konzeption von Digitalisierung zu erkennen, die Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner als heterogene selbstbestimmte Individuen mit unterschiedlichen Bedürfnissen mitdenkt, die tagtäglich Stadt produzieren und ein Recht darauf beanspruchen, an ihr teilzuhaben.

Rede als Video

Aus dem Vorab-Wortprotokoll

7. Sitzung, 9. März 2017

lfd. Nr. 3.2:

Priorität der Fraktion der FDP

Tagesordnungspunkt 40

Digital Only Teil I – „Berlin Innovation Hub“

Antrag der Fraktion der FDP
Drucksache 18/0189

 

Katalin Gennburg (LINKE):

Die munteren Debatten gehen immer weiter! Herr Schlömer! Sie haben es gesagt, Sie wollen der Taktgeber von Digitalisierung sein, und ich muss mal ganz ehrlich sagen, Ihr Mantra, was Sie ganz klar in Ihrer Rede vorgestellt haben, Fortschritt braucht keine Politik, ist grundfalsch, und da wird auch deutlich, warum sich die Piratenpartei einfach spalten musste. Denn das ist einfach der Grundwiderspruch, und ich möchte in der weiteren Rede darlegen, wie ich auch diesen schon vorher erkannt habe, als ich den Antrag gelesen habe.

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegen! Dieser Antrag ist wahrlich etwas für Fortgeschrittene! Man denkt, das muss diese Digitalisierung sein, von der alle reden, viel zu kompliziert, irgendwas mit Zahlen und Daten, und immer dann, wenn man glaubt, es verstanden zu haben, kommt das nächste Update. Wesentlicher Inhalt des Antrages ist die Einrichtung eines weiteren Gründerzentrums, das heißt öffentlich‑pri­vate Förderung von Unternehmensgründungen und Erleichterung des Zugangs zu Absatzmärkten, hier: die Berliner Verwaltung für IT‑Unternehmen und Start-ups. 

Der Antrag lässt nicht erkennen, inwiefern mit dem Konzept der Digitalisierung mehr verbunden sein soll, als ohnehin schon privilegierten Akteuren einen noch privilegierteren Zugang zu Landesinstitutionen bzw. Verwaltungen sowie deren Investitionsentscheidungen zu ermöglichen. Dies offenbart das Verständnis einer Smart City, das dem Antrag zugrundeliegt. Soll sich am Ende die Berliner Verwaltung von Technologieunternehmen und Stiftungen erklären lassen, welche IT‑Pro­dukte einschließlich Unterhaltung sie für welche Bereiche ihrer Aufgabenerfüllung von Steuergeldern ein­zu­kaufen hat? Klassische neoliberale Klientelpolitik eben!

Ach, liebe FDP! Dass nicht alle Güter marktförmig sein sollen und dass der neoliberale Ansatz des New Public Management gescheitert ist, wird bei Ihnen wohl nicht mehr ankommen.

[Holger Krestel (FDP): Ist ja auch falsch!] 

Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt:

Frau Gennburg, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Luthe zu?

Katalin Gennburg (LINKE):

Gerade nicht! – Und dieses grundlegende Missverständnis Ihrerseits, das werden wir wohl heute auch nicht mehr klären können. Die Scherben von so viel Marktvertrauen und so viel Privatisierungswahnsinn räumen wir heute immer noch weg.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN –
Henner Schmidt (FDP): DDR: Da räumen Sie
den Schaden auch immer noch weg!]

Und die Krise der Kommunen wird nicht dadurch kleiner, dass Sie nun das Deckmäntelchen der Digitalisierung darüber werfen und heimlich weiter entstaatlichen wollen.

Ergo: Im FDP-Antrag geht es gar nicht um eine progressive Modernisierung des Verwaltungsapparates, denn die hieße, eine partizipativere und transparentere Ausgestaltung von Verwaltungsprozessen oder eine Öffnung der Verwaltung hin zur Stadtgesellschaft, beispielsweise was Planungsprozesse oder gar Selbstverwaltungsprozesse angeht. Im Gegenteil: Tragendes Motiv des Antrags ist eine weitere Restrukturierung der Verwaltung nach betriebswirtschaftlichen Effizienzparametern. Absehbar ist dabei, dass im Zuge der Rationalisierung von Bürgerservices und Verwaltungsdienstleistungen weiteres Personal abgebaut bzw. eingespart werden soll. Das kann kaum im Sinne einer progressiven, öffentlichen Beschäftigungspolitik sein, und wir, die den öffentlich geförderten Beschäftigungssektor erfunden haben, können das mitnichten gut finden.

Für die FDP bedeutet Digitalisierung offenbar nicht mehr als die Möglichkeit, lokale Regierung zum Basar von neuen Informations‑ und Kommunikationsdienstleistungen oder Diensten der smarten Hausautomation zu machen und damit eine eigene innovative Rekommunalisierungsstrategie von und für Berlin systematisch zu verhindern. Das sei in aller Klarheit gesagt! Das unterscheidet Sie von einer Linksregierung kategorisch. Wir machen Politik im Dienste der Öffentlichkeit und des Kommunalen und das in all den zigtausend Teilbereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge!

[Beifall bei der LINKEN]

Nur die Algorithmen können wir nicht neu erfinden, obwohl das tatsächlich ein Beitrag zur Demokratisierung der Welt wäre.

[Holger Krestel (FDP): Schaffen ohne Waffe!]

Wir wollen eben Teilhabe der Menschen ins Zentrum der Digitalisierungsoffensive stellen, also ganz konkret: Wie können wir den Menschen etwas zurückgeben?

[Marcel Luthe (FDP): Einfach denen was
wegnehmen!]

Lassen Sie uns überlegen, wie wir an digitalen Genossenschaftsplattformen tun können, um dem Plattformenkapitalismus etwas entgegenzusetzen. Wie können wir gute und gut bezahlte Arbeit in die Welt der Apps und Bringdienste bringen und gleichzeitig die lokale Ökonomie stärken?

Nirgendwo ist im FDP-Antrag eine Konzeption von Digitalisierung zu erkennen, die Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner als heterogene selbstbestimmte Individuen mit unterschiedlichen Bedürfnissen mitdenkt, die tagtäglich Stadt produzieren und ein Recht darauf beanspruchen, an ihr teilzuhaben. Genau dies ist aber Voraussetzung, Dreh- und Angelpunkt einer linken Politik der Digitalisierung. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen]

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