Entschuldungsinitiative für Berlin

Regierungserklärung durch den Regierenden Bürgermeister zu einer Entschuldungsinitiative für Berlin

10. Sitzung des Abgeordnetenhauses – Zur Regierungserklärung durch den Regierenden Bürgermeister zu einer Entschuldungsinitiative für Berlin
Rede des Abg. Stefan Liebich

Stefan Liebich (Linksfraktion):

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein bisschen hat man den Eindruck, dass die Luft jetzt raus ist und sich vorhin alle zu dem Thema ausgetobt haben. Das Dumme ist nur, dass vorhin kein Wort zur Sache gefallen ist. Vorhin ging es hauptsächlich um Stilfragen, wer wann mit wem wie telefoniert hat und sich treffen will. Auch gestern hatte ich ausgesprochen große Probleme, den Redebeiträgen der Fraktionen zu entnehmen, was die Position der FDP, der CDU und anderer zu dieser Frage ist.

Ich finde es auch nicht so richtig super, dass wir gestern im Hauptausschuss das erste Mal die Position des Landes Berlin kennengelernt haben, wie sie in der Föderalismuskommission vertreten wird.

[Zuruf von den Grünen: Welche denn?]

Aber das ist einem Grundfehler dieser Föderalismuskommission geschuldet. Diese Föderalismuskommission – ebenso wie die letzte – legt keinen gesteigerten Wert auf die Position der Landesparlamente. Man hat die Hinweise des Lübecker Konvents ignoriert, dass die Legislative auch auf Länderebene gefragt ist, wenn es um die Neuordnung der Finanzen geht. Man hat vier nicht stimmberechtigte Mitglieder der Landtage zugelassen, was für Herrn Ratzmann zu der zweifelhaften Ehre führt, Stellvertreter eines nicht stimmberechtigten Mitglieds aus Baden-Württemberg zu sein.

[Volker Ratzmann (Grüne): Zweifelhaft?]

Immerhin hat er damit hin und wieder die Chance, eine Position zu vertreten. Aber im Ernst: Die Position der Landtage ist in dieser Kommission nicht gefragt, und das finde ich einigermaßen ärgerlich.

[Beifall bei der Linksfraktion –
Volker Ratzmann (Grüne): Das stimmt!]

Deshalb haben wir uns am Dienstag in unserer Fraktion darauf verständigt, unsere Fraktionsposition zu erarbeiten, zu beschließen und auch zu vertreten. Da haben sich gestern gleich einige aufgeregt: Wie kann denn das sein, hier Parteipolitik zu machen? – Natürlich! Ich sage Ihnen, was die Position der Linksfraktion ist, und dann will ich wissen: Was will eigentlich die FDP bei der Neuordnung der Finanzbeziehungen? – Nichts haben Sie dazu gesagt, Herr Lindner!

[Dr. Martin Lindner (FDP): Doch! Ist alles bekannt!]

Die ganze Zeit haben Sie vorhin darüber geredet, wann Herr Wowereit wen nicht angerufen hat. Wir wissen immer noch nicht, was die FDP will, aber wahrscheinlich ist das auch Absicht, denn wenn wir erführen, was die FDP auf Bundesebene bei der Neuordnung der Finanzen bezweckt, würde sehr schnell klar, dass das in Geld umgerechnet zulasten des Landes Berlin ginge.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD –
Zuruf von Dr. Martin Lindner (FDP)]

Das ist die Position der FDP. Und das ist auch die Position der CDU. Es geht nicht primär darum, Herrn Oettinger und Herrn Milbradt zu streicheln, sondern es geht darum: Wird es weiter einen kooperativen Föderalismus geben, oder wechseln wir zu einem Wettbewerbsföderalismus? Die CDU-Bundesländer wollen das, und das wird zulasten des Landes Berlin gehen. Darüber müsste sich Herr Pflüger aufregen. Da müsste man in die Debatte einsteigen, denn da geht es wirklich um die Zukunft unseres Berliner Landeshaushalts. Aber still ruht der See! Lieber arbeitet man sich daran ab, was Herr Donnermeyer gesagt oder nicht gesagt hat.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD –
Zuruf von Uwe Goetze (CDU)]

Ein paar Worte zu unserer Position in der Föderalismuskommission. Das kooperative Modell des Föderalismus muss auf jeden Fall erhalten bleiben. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, die die FDP aufgegeben hat – das hat Herr Lindner schon bei der ersten Föderalismuskommission lang und breit erläutert –, muss weiter erhalten bleiben. Wir finden das richtig im Interesse Berlins und weil wir eine linke Partei sind. Das ist auch keine Überraschung. Wir wollen weiterhin, dass Verschuldungsverbote nicht eingeführt werden. Wir wollen, dass – wenn Verschuldungsgrenzen eingeführt werden – das Ganze nach einer Entschuldung der Bundesländer passiert, damit die Ausgangsbasis gleich ist. Das will die FDP nicht. Das will die CDU auch nicht.

 
Vizepräsident Dr. Uwe Lehmann-Brauns:

Herr Liebich! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Lindner?

 
Stefan Liebich (Linksfraktion):

Ja, sehr gerne! Mich interessiert seine Meinung zur Sache.

 
Dr. Martin Lindner (FDP):

Herr Liebich! Finden Sie nicht auch, dass – wenn man sich Wettbewerb zwischen den Ländern sparen will und wenn man gleiche Lebensverhältnisse von Berchtesgaden bis Kiel und vom Breisgau bis in die Uckermark haben will – man sich die Länder dann auch sparen könnte und gleich eine einheitliche, zentrale Bundesverwaltung einführen sollte?

 
Stefan Liebich (Linksfraktion):

An einigen Punkten finden wir in der Tat, dass es eine stärkere Zentralisierung geben sollte. Bei der Bundessteuerverwaltung wird das beispielsweise in der Föderalismuskommission diskutiert. Das finden wir richtig. Das muss auch passieren. Aber die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, wie sie immer noch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht, finden wir richtig, im Unterschied zur FDP. Sie haben das hier noch einmal deutlich gemacht. Wir werden in der Föderalismuskommission dafür kämpfen. Ich hoffe, das Land Berlin auch, auch wenn Herr Sarrazin in einigen Unterabteilungen eine persönliche Meinung hat, die davon abweicht. Ich hoffe, dass diese Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse auch künftig erhalten bleibt, weil das für das Land Berlin von hoher Wichtigkeit ist.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Länder ohne Wettbewerb machen keinen Sinn!]

 
Vizepräsident Dr. Uwe Lehmann-Brauns:

Herr Kollege! Es besteht ein weiterer Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Kollegen Zackenfels.

 
Stefan Liebich (Linksfraktion):

Ja, sehr gerne!

Vizepräsident Dr. Uwe Lehmann-Brauns:

Bitte schön!

Stefan Zackenfels (SPD):

Herzlichen Dank! – Herr Kollege! Meinen Sie nicht auch, dass es den südlichen Bundesländern gut anstünde, etwas von dem zurückzugeben, was sie durch die Teilung Deutschlands und die besondere Rolle Berlins, nämlich den Verlust einer Reihe von Arbeitsplätzen von Großkonzernen wie Siemens usw., seit 1945 bekommen haben, und auch im Rahmen eines entsprechenden föderalen Systems wieder an die Stadt zurückzugeben?

[Zuruf von Dr. Martin Lindner (FDP)]

Stefan Liebich (Linksfraktion):

Absolut, Herr Zackenfels! Es gibt die Notwendigkeit. – Und, Herr Lindner, das Bundesland Bayern hat in der Vergangenheit – das wissen Sie sicherlich – viele Jahrzehnte lang vom föderalen System profitiert, indem die Überweisungen damals in das Bundesland Bayern gingen. Daran erinnert man sich jetzt nicht mehr so gerne, wenn die Finanzströme in eine andere Richtung gehen.

Wir finden es weiterhin wichtig – und das finden alle Parteien in der Föderalismuskommission –, dass über den Investitionsbegriff diskutiert wird, dass man davon wegkommt, nur Investitionen in Beton zu berücksichtigen. Auch Investitionen in Bildung und Wissenschaft sollten berücksichtigt werden.

[Beifall von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion) und von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Ein Steuerwettbewerb, wie er von einigen angedacht wurde, eine Verlagerung der Hebesätze auf das Land Berlin – Herr Lindner nickt; wissen Sie, was das für das Land Berlin bedeutet? Haben Sie schon einmal ausgerechnet, was das real für das Land Berlin bedeutet? Das bedeutete Millionen Mindereinnahmen, weil Berlin keine gleiche Ausgangsbasis hat. Was Sie wollen, ist neoliberal, aber es nützt nicht dem Land Berlin. Darüber müssen Sie reden.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Zuruf von Dr. Martin Lindner (FDP)]

Das sind die Positionen, die die Menschen in Berlin wirklich interessieren. Das ginge zulasten der Berlinerinnen und Berliner. Deshalb finde ich es gut, dass wir jetzt noch ein bisschen über die Sache reden können, nachdem Sie sich vorhin über Klaus Wowereit aufgeregt haben. Das ist das wirklich Gefährliche. Wenn Sie etwas zu sagen hätten, dann würden Positionen in die Föderalismuskommission eingebracht, die zulasten des Landes Berlin gingen. Ich bin froh, dass das nicht der Fall ist.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Wir diskutieren im Moment über den Umzug der in Bonn verbliebenen Regierungsteile nach Berlin. Frau Bluhm hat vorhin schon gesagt, es gibt bisher leider erst eine Fraktion im Deutschen Bundestag, die einen Beschluss gefasst hat, ein Beendigungsgesetz zum Berlin-Bonn-Gesetz vorzulegen, nämlich dass der jetzige Zustand der Zweiteilung der Bundesregierung aufgehoben werden muss. Nun können Sie sagen: Ja, die Linkspartei hat das leicht. Die ist eine Ostpartei. Da sind alle berlinorientiert. – Das ist falsch, weil die Menschen im Osten nicht alle berlinorientiert sind – sie sind zum Teil ziemlich frustriert, was Berlin betrifft – und unsere Fraktion im Deutschen Bundestag mittlerweile mehrheitlich westdeutsch besetzt ist. Also ermuntere ich Sie, Herr Lindner, diese Debatte in der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag anzustoßen, denn der Herr Fricke, der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, hat gerade gestern gesagt, dass er einen Komplettumzug der Bonner Ministerien unter Hinweis auf die Kosten von angeblich 5 Milliarden € ablehnt. Setzen Sie Ihre Kraft dafür ein! Kämpfen Sie dafür, damit tun Sie etwas Wichtigeres für Berlin, als hier Herrn Donnermeyer zu beschimpfen.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Den Antrag der FDP-Fraktion werden wir ablehnen, weil sich Herr Wowereit vorhin erklärt hat. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Gelächter von Dr. Martin Lindner (FDP)]

(...)

 
Stefan Liebich (Linksfraktion):

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dafür, dass hier anfänglich die Sorge bestand, das Thema könne nicht wichtig genug genommen werden, haben wir schon sehr lange und ausführlich geredet.

[Benedikt Lux (Grüne): Aber nicht sehr qualifiziert!]

Dass man dem Regierenden Bürgermeister vorwirft, er habe sich weggeduckt, kann ich in dieser Debatte auch nicht nachvollziehen. So oft, wie er sich in dieser Debatte zu Wort gemeldet, habe ich das schon lange nicht mehr erlebt.

[Mario Czaja (CDU): Sie haben es vorhin bestätigt!]

Herr Pflüger! Sie haben heute auch schon zum dritten oder vierten Mal zu diesem Thema geredet, und Sie haben es geschafft, wieder nur Haltungsnoten zu vergeben. Mag sein, dass wir keine Klippschule sind, aber eine Benimmschule sind wir auch nicht.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Mich hätte schon interessiert, was die CDU inhaltlich meint.

Was Herr Ratzmann macht, ist auch sehr amüsant. Er hat mich schon gestern im Hauptausschuss ein bisschen dafür kritisiert, dass ich Positionen des Kollegen Ramelow aus der Föderalismuskommission vertrete. Das finde ich aber nicht besonders ehrenrührig, wenn ein Linksparteipolitiker die Position eines anderen Linksparteipolitikers vertritt. Richtig amüsant finde ich, dass Sie von uns verlangen, dass wir quasi keine Parteien mehr kennen, sondern alle nur noch Berlin sein sollen. Es mag sein, dass Sie, weil Sie jetzt Landtagsvertreter sind, jegliche Grünen-Position beiseite legen. Aber deswegen müssen wir das noch lange nicht machen. Wir haben Parteipositionen, und die werden wir auch vertreten.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Heiterkeit bei der SPD]

Deshalb etwas zu den knappen Mehrheiten, die prognostiziert werden: Die Mehrheiten in dieser Koalition mögen knapp sein, aber ich kann Ihnen versichern: Nach dieser Debatte – und ich war vorher auch nicht hundertprozentig begeistert von dem Agieren unserer Koalition bei diesem Thema – steht diese Koalition wie eine Eins.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Denn jetzt ist völlig klar, in welche Richtung das Land Berlin in der Föderalismuskommission geht. Wir sind dafür, dass der Solidarpakt I und II erhalten und verteidigt wird – selbst wenn es für seine Änderung keine absehbaren Mehrheiten gäbe. Wenn in der Bundesrepublik – und das wird immer wieder passieren – die Stimme dagegen erhoben wird, dann erwarte ich von der Hauptstadt Deutschlands, von der Hauptstadt, die im Osten liegt, dass sie klar die Stimme dagegen erhebt. Und deswegen finde ich es gut, dass Klaus Wowereit das macht.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Ich finde es weiterhin wichtig, dass wir ein klares Bekenntnis zum solidarischen Föderalismus ablegen, wie es hier erfolgt ist, und gegen den Wettbewerbsföderalismus kämpfen, wie ihn Herr Lindner und seine Jamaika-Freunde haben wollen. Wir finden es wichtig, dass es weiter gleichwertige Lebensverhältnisse gibt, und mit dieser Position wird diese rot-rote Koalition in der Föderalismuskommission auftreten. Das ist heute klargestellt worden. Das finde ich super.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]