Schnelltests strategisch einsetzen

"Schnelltests wären relativ verlässliche Torwächter nicht nur in den Pflegeheimen, sondern auch in den Krankenhäusern.

Wir wären deshalb gut beraten, sie einzusetzen, und das Personal strategisch – das heißt: jeweils vor jedem Schichtbeginn – zu testen." sagt Wolfgang Albers.

71. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 28. Januar 2021 

Zur Aktuellen Stunde "Landesweite Teststrategie" (Auf Antrag der FDP)

Dr. Wolfgang Albers (LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Eine notwendige Bemerkung vorweg, die nur indirekt mit dem Thema der Debatte zu tun hat: Das, was sich gerade in der Auseinandersetzung um die Impfstoffproduktion abspielt, ist eine Schmierenkomödie. Offenbar gilt immer noch: Wittert das Kapital Profit, wird es kühn, und ist der Profit hoch genug, gibt es da auch keine Schamgrenze. Die Bundesregierung wäre gut beraten, schnellstmöglich auf die Veröffentlichung der Verträge mit Astrazeneca zu drängen. Hier geht es nicht um Gesichtswahrung, sondern um die Hoffnung von Millionen Menschen, und für diese Hoffnung haben diese Menschen auch schon viel Geld bezahlt.

Nun zum Thema: Ich bin mir jetzt nicht so ganz sicher, ob ich die richtige Rede habe; ich wollte eigentlich zur Teststrategie sprechen. Ich habe aber jetzt auch verstanden, warum nicht Herr Kluckert gesprochen hat, sondern der Herr Czaja als Generalist, weil er zu der Teststrategie selbst eigentlich relativ wenig gesagt hat und das, was er gesagt, war auch unzureichend.

Präsident Ralf Wieland:

Herr Dr. Albers, ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kluckert zulassen.

Dr. Wolfgang Albers (LINKE):

Darf ich mal fragen, ob ich überhaupt schon begonnen habe?

Nein, jetzt erst mal nicht, ansonsten habe ich kein Problem damit. – Sie greifen mit Ihrem Thema ein Problem auf, das ernst zu nehmen ist, da rennen Sie bei uns offene Türen ein. Wir brauchen alle eine Perspektive und auch gangbare Wege aus dem Lockdown, aber diese Wege sollten sicher sein. Schnelltests eröffnen uns zweifelsohne neue Möglichkeiten der Pandemieeindämmung, wenn sie klug und gezielt – und das soll heißen: strategisch – eingesetzt werden. Sie können als Torwächter dienen, wenn es z. B. darum geht, sensible Bereiche und besonders gefährdete Risikogruppen zu schützen. Seit Monaten definieren wir Menschen im hohen Alter und die Bewohner in den Pflegeheimen als besonders vulnerable Gruppe, die es zu schützen gilt. Wir begründen mit deren Schutz einschneidende Maßnahmen – Sie wissen es alle –, mit denen wir tief in das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben der Menschen eingreifen und teilweise elementare Bürgerrechte beschränken. Dennoch: Mit dem Stand vom 11. Januar waren in unserer Stadt nach amtlichen Angaben 1 591 Menschen an oder mit Corona verstorben. 967 davon – mehr als 60 Prozent – waren Bewohnerinnen und Bewohner von Altenheimen.

Da stellt sich schon die Frage, Herr Zeelen – ich habe schon in der vorletzten Sitzung darauf hingewiesen –, warum es die Kanzlerin und die Regierungschefs auch in ihrer Videokonferenz am 5. Januar wieder nicht geschafft haben, mit derselben Vehemenz, mit der andere Eindämmungsmaßnahmen angeordnet und durchgesetzt wurden, verbindlich festzulegen, dass das Personal in Pflegeheimen jeweils vor jedem Schichtbeginn zu testen ist und dass auch die Besucher, die ihre Angehörigen besuchen wollen, vor dem Zutritt zu testen sind. Dann müssten wir die Bewohner in den Heimen auch nicht mehr isolieren und die Besucher fernhalten. Wir müssen sie einfach nur vor dem Zutritt testen, das muss zu leisten sein. In den Heimen bleibt auch die wohlgemeint verordnete Einsamkeit grausam.

In der erwähnten Videokonferenz verständigte man sich lediglich darauf, eine verpflichtende Testung nur – und ich zitiere wörtlich, Herr Zeelen, die Kanzlerin – „mehrmals pro Woche“ für das Personal sowie für Besucherinnen und Besucher anzuordnen und dass auch nur in Regionen mit erhöhter Inzidenz. Wo bleibt denn da die Konsequenz? – Da fahren wir das gesellschaftliche Leben weitestgehend herunter, stellen gleichzeitig fest, dass das Ausbruchsgeschehen in Alten- und Pflegeheimen dadurch kaum beeinflusst wird – fast zwei Drittel der Verstorbenen kommen weiterhin aus den Pflegeheimen – und beschränken uns dann darauf, eine verpflichtende Testung für das Personal lediglich mehrmals pro Woche anzuordnen. Verflixt noch mal, wie kommen die Viren denn ins Heim? Immer nur an den Tagen, an denen getestet wird? – Der Zutritt ist täglich zu kontrollieren, und die Schnelltests wären relativ verlässliche Torwächter nicht nur in den Pflegeheimen, sondern auch in den Krankenhäusern.

Wir wären deshalb gut beraten, sie einzusetzen, und das Personal strategisch – das heißt: jeweils vor jedem Schichtbeginn – zu testen. Das ist sicher aufwendig und nicht ganz billig, aber die Schließung eines ganzen Krankenhauses kommt uns auch nicht billig. Auch die Sammeltransporte im BerlKönig im Rahmen dieser unsäglichen Pendelquarantäne haben sicher ihren Preis. Schnelltests können sehr wohl zudem auch Türöffner in die gesellschaftliche Normalität werden. Mit denen können wir uns die öffentlichen Räume zurückerobern – die Schulen und die Kitas, – dann noch die Kultur- und Sporteinrichtungen, die Restaurants, ja, natürlich auch die Läden des Einzelhandels. „Testen, Testen, Testen“ – da gebe ich Ihnen recht, das war keine Strategie. Das gezielte Einsetzen von Schnelltests zur Sicherung von unseren Versorgungsstrukturen und zum Schutz von Risikogruppen ist eine Strategie. Allerdings – auch das habe ich schon einmal gesagt – sind mittlerweile Hunderte von Tests auf dem Markt. Bisher ist nach meiner Kenntnis – Bundesregierung – nicht einer davon zertifiziert, und so ist das Angebot unüberschaubar. Wenn wir diese Tests strategisch einsetzen wollen, müssen sie verlässlich sein. Das heißt, wir brauchen dringend eine Standardisierung, so etwas wie eine Positivliste, auf der die seriösen Tests zertifiziert aufgelistet sind, damit das Angebot nicht zum unkontrollierten Eldorado für Glücksritter wird. Das gilt insbesondere, weil jetzt zunehmend die Forderung nach Selbsttests aufgemacht wird. Natürlich kann man Selbsttests machen. Wir können die Medizinprodukteverordnung gerne ändern, aber der private Erwerb garantiert noch nicht den sachgemäßen Gebrauch. Das müssen wir gar nicht aufgeregt diskutieren. Wir müssen uns dann nur darüber verständigen, welche Verbindlichkeit wir solchen Selbsttests zubilligen wollen. Das sind ja keine Zucker- oder Schwangerschaftstests, bei denen Sie die Verantwortung für den richtigen Umgang selber zu tragen haben, ebenso wie die eventuellen Konsequenzen. Hier geht es um möglicherweise fatale Folgen für andere.

Natürlich kann man das machen, sich selber und seine Angehörigen zu testen – wohl eher nicht als Familienscreening jeden Freitag nach dem Baden oder nach dem Frühstücksei, aber aus gegebenem Anlass schon gezielt. Wenn man zum Beispiel seine alten Angehörigen besuchen will, dann macht so ein Test im Privaten auch Sinn. Einverstanden! Aber darüber hinaus – was wäre damit gewonnen? Schnelltests sollen uns eine Perspektive in die gesellschaftlichen Räume geben, aber wir werden tunlichst für niemanden diese Räume und diese sensible Infrastruktur öffnen, der sich darauf beruft, er habe zu Hause einen negativen Schnelltest gemacht, und wir werden hoffentlich auch niemandem, der sagt, er habe sich bereits zu Hause selber getestet, den Zutritt in ein Pflegeheim erlauben. Hier geht es um den Schutz anderer, und deshalb braucht es, wenn Schnelltests zum Türöffner – zum Beispiel zu sensiblen Bereichen oder zum Umgang mit Risikogruppen – werden sollen, weiterhin unbedingt ein Vieraugenprinzip. Schnelltests gehören deshalb in der Regel vor Ort zum Arbeitsschicht- oder Schulbeginn und nicht in die heimische Küche.

Wir werden nicht umhin kommen, für die entsprechende Logistik zu sorgen. Wenn wir die Vorteile von Schnelltests wirklich nutzen wollen und sie als Chance begreifen, dürfen wir sie nicht durch einen fahrlässigen Umgang mit ihnen verspielen. – Vielen Dank!

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