Sebastian Scheel (Die Linke): Ausstieg aus fossiler Energie nur mit Regulation des Wärmemarktes

Ausstieg aus fossiler Energie nur mit Regulation des Wärmemarktes

Rede des energiepolitischen Sprechers, Sebastian Scheel, in der Aktuellen Stunde zum Thema "Wichtige energie- und klimapolitische Entscheidung im Berliner Nachtragshaushalt", am 22. Februar 2024 im Abgeordnetenhaus von Berlin

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

In der Tat: Das ist heute ein guter Tag für Berlin! Auch für Die Linke darf ich sagen, dass wir den Rückkauf der Wärme für gut befinden, dass das ein richtiger Schritt ist! Deswegen haben wir uns ja auch viele Jahre dafür eingesetzt.  Bevor ich zu den Themen komme, die heute schon angesprochen wurden, will ich mal ein bisschen einen größeren Bogen spannen. Wir stehen im Moment an der Schwelle zum nicht fossilen Zeitalter. Wir haben dabei eine ganze Reihe von Themen, die wir bearbeiten müssen.   Wir haben in der Industriegesellschaft über die letzten 200 Jahre vor allen Dingen von den fossilen Energieträgern gelebt. Wir haben durch die fossilen Energieträger 200 Jahre lang eine Wirtschaftsdynamik freigesetzt, die ihresgleichen sucht. Der Wohlstand Deutschlands und der Welt beruht auf diesen fossilen Energieträgern. Wir sind tief in die Berge reingegangen, haben Kohle rausgeholt. Wir haben in der Braunkohlegewinnung ganze Landschaften zerstört. Wir haben, um diesen Energiehunger zu stillen, auf der Welt Kriege um Erdgas- und Erdölvorkommen geführt. 

Aber eines ist klar: Fossile Energieträger sind endlich. Sie sind endlich! Seit dem Club of Rome in den Siebzigerjahren ist diese Endlichkeit klar. Da kann man drüber streiten, ob das 50 Jahre sind, 100 Jahre, vielleicht auch 150 Jahre, aber es wird ein Ende haben. Wir müssen uns von dem Suchtstoff entwöhnen wie der Trinker von der Pulle. Auch der letzte Aluhutträger und Schwurbler von der rechten Seite müsste doch begreifen, dass der Wohlstand und die Zukunft unserer Industriegesellschaft daran hängen, ob es uns gelingt, weg von den fossilen Energieträgern zu kommen.  Das müsste doch auch Ihnen mal klar sein! Da können wir ja drüber streiten, ob das 10 Jahre oder 20 Jahre sind.  Nebenbei haben wir durch das Verbrennen dieser fossilen Energieträger auch das Klima zerstört. Ja, das haben wir getan! – Selbst, wenn Sie das leugnen, werden Sie feststellen müssen:  Wir müssen von den fossilen Energieträgern weg.  Einer der Schlüsselfaktoren, um aus dem fossilen Zeitalter hin zum nicht fossilen Zeitalter zu kommen, sind die Netze, intelligente Netze. Deswegen war es auch richtig, die Stromnetze zurück in die kommunale Hand zu bekommen. Es ist auch richtig, die Wärmenetze zurückzuholen und andere Netzinfrastrukturen, denn nur zusammengedachte, intelligente Netze werden uns in die Lage versetzen, diesen Übergang sinnvoll, gerecht und zu fairen Konditionen, zu guten Preisen für die Bürgerinnen und Bürger zu gestalten.

Wir haben nur ein großes Problem: Das ist die Denkfaulheit. Die Denkfaulheit der letzten Jahre, sowohl von Vattenfall wie vom Senat, hat dazu geführt, dass wir kein in sich konsistentes Konzept haben, wie wir damit umgehen. Aufgrund von Denkfaulheit sind strategische Fehleinschätzungen und Fehlplanungen vorgenommen worden, die es jetzt zu korrigieren gilt.

Jetzt haben wir die Netze in unserer Hand. Das erste große Thema ist die Substitution.  Was ist einfacher, als den Kessel, der jetzt da ist, einfach zu ersetzen durch eine Wärmepumpe – wie auch immer, irgendwas Schönes. Sollen doch die Leute in ihre Häuser irgendwas reinmachen. Oder substituieren wir doch einfach das Erdgas, das wir nicht mehr haben wollen, durch Wasserstoff; gerade schon angesprochen von Herrn Dr. Taschner. – So einfach ist die Welt nicht! Die Mengen an Wasserstoff, die wir bräuchten – wir reden hier von Terawattstunden. Terawattstunden an Wasserstoff zur Substituierung dessen, was wir jetzt haben, in der Industrie, in der Wirtschaft und eben in der Wärme, müssen überhaupt erst mal produziert werden. Wir haben bisher noch keine Vorstellung, wo das in geeignetem Maße und in der Größenordnung überhaupt stattfinden soll.  

Insofern müssen wir, anstatt in Substitution zu denken, daran denken: Nutzung aller vorhandenen Ressourcen, um die Wärmewende gestalten zu können, das heißt – es ist schon angesprochen worden –: Geothermie. Wir müssen die Potenziale der Geothermie nicht nur erkunden, sondern auch effizient nutzen, wir müssen die Wärmepumpen, Großwärmepumpen möglichst, nutzen, und wir müssen natürlich auch Power-to-Heat – wir haben in Berlin mittlerweile die größte europäische Anlage – weiter nutzen und andere Möglichkeiten, die es gibt.  

Der zweite strategische Fehler liegt darin, dass es nicht gelingt, vernetzt zu denken. Wir als Linke sind der Auffassung, dass es richtig ist, Fernwärme in einer urbanen, dicht besiedelten Struktur wie Berlin ein Prä zu geben. Und da ist es einfach nicht ausreichend und unambitioniert, von jetzt 33 Prozent Anteil auf 42 zu kommen. Wir brauchen viel mehr Leitungen in der Erde, viel mehr Vernetzung, viel mehr Anschluss an das Fernwärmenetz oder die Fernwärmenetze; Nahwärmenetze, die können ja auch miteinander angeschlossen und verbunden werden. Ich sage ja nicht, dass einer alles machen muss. Wir brauchen aber dieses vernetzte Denken. Ich darf nur an Kopenhagen erinnern: Kopenhagen hat einen Anteil von 98 Prozent Fernwärmezugang.  Übrigens, lieber Kollege Stroedter, die 1,4 Millionen Haushalte, die Sie gerade angesprochen haben: Schön wär’s, wenn es die wären. Das sind ja nur Haushaltsäquivalente, also die haben einfach durchgerechnet, was ein Durchschnittshaushalt verbraucht – Sie brauchen ja auch Fernwärme für Verwaltung und Industrieunternehmen –, und daraus haben die dann 1,4 Millionen berechnet. Wenn wir wirklich von den 2 Millionen Haushalten in Berlin 1,4 Millionen an der Fernwärme hätten, das wäre super, dann wären wir schon ganz weit. So weit sind wir aber noch lange nicht.

Deswegen müssen wir über einige Themen reden, die Gelingensbedingungen eines solchen Umbaus sind oder auch Akzeptanzbedingungen der Fernwärme überhaupt.  Erste große Frage – und es ist ja schon auf die EnqueteKommission abgestellt worden, auch die will ich gerne bemühen –: Regulation. Die Fernwärme ist in Deutschland einer der am wenigsten regulierten Märkte. Erst 2021 haben wir überhaupt eine Verordnung zur Berechnung der Preise auf den Weg gebracht, und auch die ist noch nicht mal unbedingt verbindlich. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Wir haben ja im letzten Jahr gesehen, was passiert, wenn der Preis für Erdgas steigt: Auf einmal gehen dann auch die Preise in der Fernwärme hoch, auf einmal zahlt man das Dreifache für die Fernwärme.

Also: Regulation ist an der Tagesordnung. Das Land Berlin – dafür gab es sogar Gutachten – ist sogar in der Lage, aus eigener Kraft heraus diese Regulation auf gesetzlicher Grundlage vorzunehmen. Da braucht es also mehr Regulation, um klarzumachen: Worum geht’s? –, bis hin auch zu teilweisen Anschlusszwängen. Es kann ja nicht sein, dass wir die Leitung schon drin haben, aber der eine oder andere sagt: Ach, finde ich nicht so doll, zahlen am Ende sowieso die Mieter. Da schließe ich mich gar nicht erst an, interessiert mich alles nicht. – Nein, auch darüber muss ordentlich geredet werden, auch über Anschlusszwänge in bestimmten Bereichen.  

Zweitens: Gewinninteressen. Warum sollen wir denn Renditen von 5 bis 10 oder 20 Prozent von irgendwelchen Privatkonzernen durch die Fernwärme mitfinanzieren? – Nein, Ausschluss von Gewinnen, auch an den Berliner Haushalt; auch dieser Ausschluss muss her, weil wir den Leuten klarmachen müssen, dass wir ihnen Wärme zu vernünftigen und fairen Konditionen zur Verfügung stellen wollen und nicht, um den Geldbeutel von Privatinvestoren oder aber den Staatssäckel zu füllen. Das muss doch möglich sein. Ich darf an Dänemark erinnern, auch hier ein gutes Beispiel: Die haben auf staatlicher Ebene gesetzlich Gewinn ausgeschlossen. Auch da kann man vielleicht mal ins europäische Ausland schauen, was Einzelne machen. Das hilft vielleicht dann auch. 

Dritter Punkt: Wir brauchen Transparenz; klarer, verständlicher für die Leute: Woraus setzen sich die Preise zusammen? Was kommt auf sie zu? Wie kann das aussehen?  Vierter Punkt: Preiskontrolle. Natürlich ist entweder vorher, ex ante, festzulegen: Was sollen die Preise sein? – oder im Nachhinein zu kappen, wenn Überwucherpreise da sind. Auch hier darf ich an die Kartellbehörden, die Landeskartellbehörde erinnern. – Frau Giffey, Sie sind ja in der Pflicht, wenn es darum geht, auch diese Preise zu kontrollieren. Hier liegt es doch in unserer Hand, darum gehe ich davon aus, dass wir faire Preise machen, aber es gibt ja auch andere Nahwärmenetzbetreiber. Auch die müssen mit den Regularien und den Möglichkeiten, die wir haben, kontrolliert werden, damit die Preise angemessen sind.  Und ein Letztes, bevor ich leider zum Schluss kommen muss: Die Investitionsfähigkeit der öffentlichen Hand bei einer solchen gesamtstaatlichen Transformationsaufgabe muss wiederhergestellt werden, deshalb: Die Schuldenbremse muss weg! – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!