Europäische Finanzkrise – Wer zahlt die Zeche?

Fraktionsvorsitzender Udo Wolf zur Aktuellen Stunde des Abgeordnetenhauses

Keine Finanzierung zu Lasten der Länder und Kommunen.

Udo Wolf, Fraktionsvorsitzender, zur Aktuellen Stunde

Manuskript - es gilt das gesprochene Wort.

Anrede,

Nein, wir sind hier nicht das Europa-Parlament und auch nicht der Bundestag. Aber wir sind ein Landesparlament, das sich Sorgen machen muss.  Sorgen, weil wir sehen, was die Bundesregierung und Kanzlerin Merkel zur Bewältigung der europäischen Finanzkrise gerade so zusammenstümpern.

Und weil die Fehler des Bundes immer wieder die Länder, Städte und Kommunen treffen! Wir Länder sollen es am Ende wieder sein, die am Ende die Zeche zahlen, und das ist heute unser Thema.

Denn wir haben hier in Berlin die Verantwortung. Nicht für die Steuerausfälle der nächsten Jahre, nicht für die Ursachen der Weltwirtschafts- und Finanzmarktkrise. Aber dafür, dass wir unter diesen miserablen Bedingungen die Zukunftsfähigkeit und den sozialen Zusammenhalt in der Stadt sichern.

Wir müssen den Menschen hier sagen, was wir vom Bund erwarten.  Und es kann kein Zufall sein, dass ausgerechnet die FDP, dass Sie, Herr Meyer heute nicht darüber sprechen wollen.
Herr Westerwelle ist ja auch ziemlich still geworden. Ist wahrscheinlich auch besser so!

Von verantwortungsvollem Handeln der Bundesregierung ist derzeit auffallend wenig zu spüren. Sie wird getrieben von Banken und Spekulanten. Sie lässt die Zweifel an der Einheit des Euro-Raumes gären. Trotz vollmundiger Versprechungen: Sie hat aus der Krise 2008 nichts gelernt. Und sie hat seit dem auch nichts getan, um die dringend notwendige Regulierung der Finanzmärkte anzugehen.

Die Finanztransaktionssteuer wäre ein entscheidender Schritt, um schnelle Spekulationsgeschäfte wirksam zu bekämpfen. Mit diesem Vorschlag ist die Linke längst nicht mehr allein. Doch dass die Bundesregierung für ihre Durchsetzung aktiv wird, sehe ich nicht. Zwar finden Teile der Union sie inzwischen richtig, doch die FDP will sie nicht.

Was folgt, ist die Ausrede, dass es weltweite Verabredungen braucht. Mehr nicht.
Sogenannte Leerverkäufe und andere Instrumente, die die Finanzpolitik von der realwirtschaftlichen Entwicklung abkoppeln, müssen endlich komplett untersagt werden.
Es ist doch pervers, wenn darauf gewettet wird, dass es wirtschaftlich bergab geht und Aktien an Wert verlieren. Das muss ein Ende haben!

Dass das notwendig ist, sieht immerhin die BaFin. Sie hat jetzt den spekulativsten Typ von Leerverkäufen, die ungedeckten Leerverkäufe, zumindest teilweise untersagt. Leider nicht europäisch abgesprochen und leider nicht konsequent alle Leerverkäufe.

Wo man hinguckt – Halbheiten und Stümperei: Da wird von der Bundesregierung eine Bankenabgabe erwogen, mit der man Vorsorge für künftige Finanzkrisen treffen will.
Das ist ziemlich schräge Veranstaltung.
Allein, um auf die Summe zu kommen, die 2008 als staatliche Stützung zur Verfügung gestellt wurde, müsste man 400 Jahre lang diese Abgabe ansparen.
Und, noch so ein Unding. Die Bankenabgabe sollen nicht etwa nur jene Finanzinstitute zahlen, die hochspekulative Geschäfte machen. Die Bundesregierung will genauso Volksbanken und Sparkassen heranziehen.
Dabei sind sie es, die in Zeiten der Krise die regionale Kreditversorgung der kleinen und mittelständischen Wirtschaft leisten.

Statt vorausschauender und solidarischer Hilfe unter Beteiligung des Finanzsektors folgt eine Notoperation der nächsten.
Und wohin das alles führt, können wir jetzt schon sagen: Die Länder, Städte und Kommunen werden ausgeblutet. Denn alle Mittel, die der Bund jetzt aufwendet, werden dort fehlen.
Allein mit den 480 Mrd. Euro, die 2008 zur Stützung des Finanzsektors bereit gestellt wurden, hätte man eine Schuldentilgung aller Bundesländer hinbekommen können. Stattdessen wurde es verwendet, um die Fehlentscheidungen privater Finanzjongleure aufzufangen. Und es steht zu befürchten, dass dies wieder so läuft. Und das können die Länder und Kommunen nicht auf Dauer hinnehmen.

Anrede,

Um nicht missverstanden zu werden: Ich finde eine Herangehensweise, wie sie der Boulevard gerade titelt, nach dem Motto: Milliarden für die Griechen, aber hier müssen die Schwimmbäder schließen, äußerst problematisch.

Aber die Bundeskanzlerin hat das mit befördert.
Denn wir haben nicht nur eine Griechenlandkrise, sondern vor allem eine Euro-Krise. Und wir müssen sowohl die Euro-Zone stabilisieren als auch die  Staatsfinanzen in Europa und bei uns  konsolidieren.

Nur: Das Problem der chronischen Unterfinanzierung der Länder und Kommunen tritt in solchen Zeiten eben besonders stark zutage.
Solange der Bund sich weigert, die Einnahmeseite des Staates zu verbessern. Solange der Bund sich weigert eine sozial gerechte Steuerpolitik zu machen. – Solange wird jede zusätzliche Belastung des Bundes verhindern, dass die Ausstattung der Kommunen strukturell verbessert wird. Das ist das Problem!

Stattdessen treten – wie Herr Koch in Hessen – sofort jene auf den Plan, die meinen, da hilft nur eines, nämlich den Gürtel enger zu schnallen. Allerdings kann man sich mit einer solchen Herangehensweise auch umbringen.
Es ist falsch, nun weniger für Bildung und Arbeitsmarktförderung auszugeben oder Investitionen zu streichen. Das ist volkswirtschaftlich großer Unsinn!

Schuldenbremse mag ja gut klingen. Aber sie geht an den Realitäten komplett vorbei.
Es braucht, und das wissen wir auch, weiterhin eine verantwortungsvolle Konsolidierungspolitik. Das haben wir in den vergangenen Jahren hier in Berlin ordentlich gemacht, es war beileibe oft schmerzhaft. Aber ich sage »verantwortungsvolle« Konsolidierungspolitik!

Und das bedeutet zweierlei: Wir werden hier auch weiterhin nicht das Geld mit vollen Händen zum Fenster rausschmeißen. Wir haben auch nicht vor, die Ausgabenlinie zu erhöhen.
Aber wir dürfen jetzt auch nicht der Krise hinterher sparen!
Denn Berlin, dem die Hilfe des Bundes beim Abbau seiner Schulden bekanntlich verweigert wurde – Sie erinnern sich an Karlsruhe 2006?! – lebt eben nicht über seine Verhältnisse!
Nur – wir haben heute kein Ausgabenproblem mehr, sondern ein Einnahmeproblem!
Das sich im Übrigen nochmal deutlich verschärfen würde, wenn die FDP ihre sozial ungerechten Steuerentlastungspläne im Bund durchsetzen könnte.

Auf Berlin kommen schon jetzt Steuerausfälle in dreistelliger Millionenhöhe zu. Die gleicht man eben nicht aus, indem man sich mal hier und mal da ein Stückchen Speck aus den Rippen schneidet.

Diese Summe ließe sich strukturell nur einsparen, wenn man in der Stadt in drei Bereichen massiv spart: 1. Bei der Bildung 2. Bei der sozialen Infrastruktur und 3. beim Personal.
Doch genau in diesen Bereichen gibt es in Berlin nichts mehr zu holen. Jedenfalls nicht, solange die Linke mitregiert. Denn das wäre ein Angriff auf die Zukunftsfähigkeit und den sozialen Zusammenhalt der Stadt.

Berlin ist unter anderem deshalb eine starke Metropole, weil Rot-Rot in Bildung investiert, weil es hier eine gute soziale Infrastruktur gibt.

Und die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst haben in den vergangenen Jahren einen großen Solidarbeitrag für diese Stadt geleistet. Es ist das Mindeste, dass ihre Einkommen wieder Schritt für Schritt an die Entwicklung anderer Länder angekoppelt werden.

Anrede,

Es gibt ja jetzt die Chance, dass es zu einer vernünftigen Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen kommt. Das bedeutet, dass sich die Verhältnisse im Bundesrat ändern. Und die Frage, wer in diesen Zeiten die Zeche zahlt, kann dann auch anders beantwortet werden.
Fest steht: Der Widerstand gegen die schwarz-gelbe Bundespolitik wächst kontinuierlich, und Länder und Kommunen erwarten zu Recht, dass sich ihre Situation im Zuge der Krise nicht weiter verschlechtert.

Es ist schon lange an der Zeit, die Vermögenden stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzuziehen. Es braucht Änderungen beim Spitzensteuersatz, eine gerechte Steuer auf Millionenerbschaften und das Schließen von Steuerschlupflöchern.  Die sozial Schwachen müssen vor weiteren Einschnitten geschützt werden und die konjunkturelle Erholung der Wirtschaft darf nicht aufs Spiel gesetzt werden, in dem man sich Investitionen spart.

Wir lehnen es ab, die fehlenden Milliarden durch Kürzungen  bei Arbeitnehmern, Rentnern und Familien und Studenten zu holen. Die jetzt vorgeschlagene Erhöhung der Mehrwertsteuer ist deshalb für uns vollständig indiskutabel.

Wir sehen die Bundesregierung in der Pflicht, mit den Banken und Investoren, die Staatsanleihen gefährdeter Mitgliedstaaten halten, Verhandlungen aufzunehmen. Hier muss eine adäquate Beteiligung an den Kosten der Rettungsmaßnahmen  erreicht werden!

Der Finanzsektor muss an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben und zugleich an den Kosten der Krise beteiligt werden! Das ist eine fundamentale Gerechtigkeitsfrage!

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