Leerstellen bei Sonderermittler:innen und Opferbeauftragten

Bericht zu den Sitzungen des Untersuchungsausschusses zum rechten Terror in Neukölln am 6. und 20. Januar 2023

Der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der rechten Anschlagserie in Neukölln startete im neuen Jahr am 6. Januar mit der Befragung der beiden Sonderermittler:innen Ute Leichsenring (ehemalige Chefin des Polizeipräsidiums in Eberswalde) und Dr. Uwe Diemer (Bundesanwalt a.D.) als sogenannte „Kommission Neukölln“. Die Kommission war vom damaligen Innensenator eingesetzt worden, um Versäumnisse in der Arbeit von Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft zu beleuchten.

Kommission zieht sich auf Untersuchungsauftrag zurück

Unumwunden gab die Kommission zu Protokoll, dass sie das zu prüfende Material aufgrund der Menge und der geringen Laufzeit der Kommission gar nicht in Gänze sichten konnten. Lediglich einzelne Stichproben vermochten sie zu überprüfen und auch dies nur auf Plausibilität der eingeleiteten Maßnahmen, also ob sie lediglich nachvollziehbar waren. Eine tiefere Prüfung fand somit nicht statt. Darüber hinaus zog sich die Kommission in der Befragung oft darauf zurück, dass Fragen der Anhörung nicht Teil ihres Untersuchungsauftrags waren und sie daher zu ausgewählten Punkten nichts sagen könnten. Der für die Kommission zu untersuchende Zeitraum beschränkte sich auch auf ab 2014, dass Informationen zu den Anfängen bzw. der ersten Welle der Anschlagsserie unbeleuchtet blieben. Die Kommission konnte auch nicht in der Frage zur Aufklärung beitragen, warum beim zweiten Versuch die NPD zu verbieten – als die Verfassungsschutzämter ihre V-Männer aus Gründen der „Staatsferne“ abstellten bzw. abstellen mussten – auch die G10-/Überwachungsmaßnahmen für einen der Hauptverdächtigen abgestellt wurden.

Das Zurückziehen auf den Untersuchungsauftrag, die angesichts der Datenmenge geringe Ausstattung der Kommission und die geringe Prüftiefe zeigen deutlich die Leerstellen innerhalb ihrer Arbeit auf. Eine Überprüfung des vorangegangenen Abschlussberichts der BAO Fokus („Besondere Aufbauorganisation Fokus“) fand überhaupt nicht statt, weil das nach Aussagen der Kommission für sie nicht zu leisten gewesen wäre. Auch wurde nicht überprüft, ob es bei Angehörigen der Polizei, die verdächtigt werden mit der Anschlagsserie im Zusammenhang zu stehen, zu ungerechtfertigten Zugriffen auf POLIKS („Polizeiliches Landessystem zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung“) kam, um z.B. die Wohnanschriften von Betroffenen oder politischen Gegner:innen zu erlangen. Eine darüber hinausgehende Überprüfung der Datenbankzugriffe der Mitarbeitenden des Landesamts für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) konnte zeitlich bedingt durch die Kommission nicht mehr vollzogen werden.

Dennoch bestand die Möglichkeit zu eigenen Ermittlungsansätzen anstatt nur begrenzt die Plausibilität von eingeleiteten Maßnahmen zu prüfen, wie die Bewertung der Frage des „Ostburger Eck“ durch Leichsenring und Dr. Diemer gezeigt hat. Die beiden Sonderermittler:innen haben als Kommission den Umstand genauer beleuchtet, dass ein Angehöriger der Berliner Polizei mit einem der Hauptverdächtigen der Anschlagsserie das Rudower Lokal „Ostburger Eck“ zusammen verlassen und dann mit diesem weggefahren sein soll. Dies wurde von einer Observierungseinheit des Verfassungsschutzes beobachtet. Der in Rede stehende Polizist gab an, dass er einen Freund zu einem Geldautomaten gefahren habe. Die Kommission schlug vor, wie es auch in ihrem Bericht festgehalten hatte, dass die Daten des Geldautomaten und seiner Kamera ausgewertet werden sollen. Hieraus ergab sich, dass es sich nicht um einen der Hauptverdächtigen, sondern wirklich um den Freund des Polizisten gehandelt hat. Weiter brachte die Kommission im Rahmen der Anhörung die These auf, wie es bei der Observierung zu dieser Verwechselung gekommen sei: Der Polizist sei zwar zusammen mit einem der Hauptverdächtigen zu seinem Auto gelaufen, dann war Letzterer für die Observierenden hinter einem LKW verschwunden und danach der Polizist zu zweit in seinem Auto fortgefahren. Über den weiteren Verbleib des Hauptverdächtigen an dem Abend, nachdem er hinter den LKW verschwand, ist nichts bekannt geworden. Ob dieser geschilderte Hergang wirklich zutrifft, wird der Untersuchungsausschuss aufzuklären haben, genau wie weitere ungeklärte Fragen wie den Auftrag des Verfassungsschutzes an diesem Abend oder die Motivation des Polizeibeamten zum Besuch einer von Neonazis frequentierten Kneipe.

Insgesamt ist also festzustellen, dass die Sonderkommission entgegen vielfacher Behauptungen mitnichten die zweifelhaften Vorgänge im Behördenhandeln rund um den Neukölln-Komplex aufgeklärt, sondern viele drängende Fragen offen gelassen hat. Diese muss der Untersuchungsausschuss aufklären.

Akten für den Ausschuss sollen schneller kommen

Zwischen den beiden Sitzungen des Untersuchungsausschusses fand zum ersten Mal ein Akten-Treffen zwischen den Mitgliedern des Ausschusses, der Senatsinnen- sowie Senatsjustizverwaltung und der Taskforce Lupe für den Polizeilichen Datenraum (PoD), in dem vertrauliche Unterlagen eingesehen werden könne, statt. Gemeinsam wurde eine schnellere Aktenfreigabe und -lieferung vereinbart, ggf. auch vermehrten Schwärzungen und höherer Geheimschutz-Einstufung, um parallel laufende Strafprozesse gegen Verdächtige des Komplexes nicht zu gefährden.

Opferbeauftragter ohne Bezug zur Anschlagsserie

Ebenso im ersten Monat des Jahres war für den 20. Januar der Opferbeauftragte des Landes Berlin geladen. Die Anhörung des Leiters der BAO Fokus konnte aus gesundheitlichen Gründen leider nicht stattfinden und wird zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt. Die BAO Fokus wurde ebenso vom damaligen Innensenator eingerichtet, um den Neukölln-Komplex in einem andauernden Prüfungsprozess zu betrachten. Leider machte sich gleich zu Beginn der Befragung des Opferbeauftragten Roland Weber Ernüchterung im Ausschuss breit: In seinen einleitenden Worten führte Weber aus, dass er nichts zum Komplex sagen können und lediglich alles nur aus der Zeitung wissen. Ein Austausch mit den Betroffenen der rechten Anschlagsserie in Neukölln kam in der Vergangenheit nicht zustande.

Dennoch war die Anhörung des Opferbeauftragten bezogen auf mangelhafte Sensibilität von Sicherheitsbehörden im Umgang mit Betroffenen nicht gänzlich ohne Nutzen. Neben der Verstetigung des Pilotprojekts „proaktiv“, das den Erstkontakt zu Betroffenen in Bezug auf Betreuung, Empathie und Sensibilität verbessern soll, wirbt Weber für mehr Engagement innerhalb der Sicherheitsbehörden für Weiterbildungen, die diese Themen aufgreifen. Dazu gehört auch die Möglichkeit für Betroffene bei Anzeigen eine andere zustellungsfähige Adresse anzugeben, die nicht ihre eigene Wohnanschrift ist, damit diese nicht in den Ermittlungsakten auftaucht und somit z.B. auch nicht von den Angeklagten für weitere Delikte oder Feindeslisten genutzt werden kann.

Hausaufgaben für die Fraktionen im Ausschuss

Grundlegend und erkenntnisreich wurde es zum Ende der Anhörung des Zeugen Webers in Bezug der Erfassung von Geschädigten und sogenannten Opferdelikten innerhalb der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS). Weber kritisierte auf Nachfrage, dass oft der politische Hintergrund von Delikten ausgeblendet wird und Taten gegen Betroffene als im Bereich von Allgemeinstraftaten abgetan und ggf. somit nicht ernst genommen werden, weil sie nicht über eine zu kritisierende starre notwendige Schwere der Tat verfügen. Dabei wird außer Acht gelassen, was dies mit den Betroffenen tut, vor allem wenn sie über einen längeren Zeitraum Ziel von Delikten sind oder die Schwere der Taten für die jeweiligen Geschädigten nicht anerkannt wird.

Die Anpassung der PKS zu einer besseren Erfassung von Betroffenen, zur besseren Erfassung eines politischen Hintergrunds von Delikten und zur erhöhten Sensibilisierung im Umgang mit Betroffenen, auch damit diese überhaupt Anzeigen stellen und das Dunkelfeld rechter Straftaten weiter erhellen, wird künftige Aufgabe und eine der Lehren des Untersuchungsausschusses „Neukölln“ sein.