Untersuchungsausschuss nach der Wahlwiederholung: Aufklärung weiter vorantreiben

Bericht zu den Sitzungen des Untersuchungsausschusses zum rechten Terror in Neukölln am 2. und 23. Juni 2023

Nach Monaten des Stillstands wurde der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der rechten Anschlagsserie in Neukölln am 2. Juni endlich wieder eingesetzt und konnte seine Befragungen fortsetzen. Die Wiedereinsetzung des Untersuchungsausschusses und aller anderen Ausschüsse des Parlaments war durch die Wahlwiederholung im Februar und die damit veränderten Mehrheitsverhältnisse im Abgeordnetenhaus notwendig geworden. Die FDP ist nicht mehr im Parlament und daher auch nicht mehr im Untersuchungsausschuss vertreten. Auch der bisherige Ausschussvorsitzende der SPD ist nicht mehr in Parlament und Ausschuss vertreten.

Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat daher Anfang Mai die Wiedereinsetzung des Untersuchungsausschusses beschlossen. In dem Zusammenhang wurde ebenso der Sachstandsbericht des vergangenen Ausschusses beschlossen. Dies ermöglicht dem neuen Ausschuss, direkt an die bisherige Arbeit des alten Ausschusses anzuschließen, anstatt von vorn zu beginnen.

Bei der Wahl der Mitglieder für den neuen Untersuchungsausschuss am 25. Mai wurde der Kandidat der AfD nicht gewählt, diese ist nur durch einen Stellvertreter im Ausschuss vertreten. Infolgedessen kann die Funktion des stellvertretenden Vorsitzenden im Ausschuss vorerst nicht besetzt werden. Dem AfD-Kandidaten Robert Eschricht wird öffentlich eine zu große Nähe zum Untersuchungsgegenstand nachgesagt. Den Ausschussvorsitz haben die Grünen übernommen. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass sich der neue Vorsitzende noch stärker für die Belange des Ausschusses, vor allem bezüglich der immer noch stockenden Aktenlieferungen, einsetzt.

Erste Behörden-Zeug:innen müssen zum Neukölln-Komplex Rede und Antwort stehen

Es zählt, die Aufklärung weiter voranzutreiben und die durch die Wiederholungswahl verlorene Zeit aufzuholen. Den Beginn machten am 23. Juni der ehemalige Leiter der Besonderen Aufbauorganisation Fokus (BAO Fokus) Andreas Majewski und der damalige Leiter der Geschäftsstelle Kristian Grüning für die Kommission Neukölln bzw. die Sonderermittler:innen Uta Leichsenring und Dr. Herbert Diemer. Beide Sonderermittler:innen waren bereits im Januar gehört und auf ihre Leerstellen in ihrem Schlussbericht zur Überprüfung der Ermittlungsarbeit und der offenen Fragen zur Anschlagsserie hingewiesen worden. Majewski und Grüning erschienen beide mit Rechtsbeistand.

Die erste Überraschung kam gleich zu Beginn der Anhörung von Grüning: Dieser war zuvor nahtlos im Büro von Staatssekretär Akmann als Referent für die Kontrollgruppe Verfassungsschutz tätig und wechselte dann direkt als Leiter in die Geschäftsstelle.  wurde von der Senatsinnenverwaltung gestellt. Auch an Sprechzetteln für Senator Geisel für den Innenausschuss hat er als Leiter der Geschäftsstelle mitgewirkt. Die vom damaligen Innensenator Andreas Geisel dargestellte Unabhängigkeit der Kommission ist dadurch nicht mehr zu halten. Überraschend war ebenso, in welcher Geschwindigkeit und mit welchem geringen Umfang von Schwärzungen die Kommission Akten bekommen hat. Da konnte man als Untersuchungsausschuss nur neidisch werden, der weiterhin auf eine Vielzahl von Akten wartet.

Eine Einflussnahme der Geschäftsstelle auf die inhaltliche Arbeit der Kommission schien in der Befragung immer wieder durch – und nicht nur in der Frage der Beratung der Sonderermittler:innen durch Geschäftsstelle. Grüning konnte am Ende nicht benennen, welche Textbausteine z.B. die Geschäftsstelle zum Zwischen- und Schlussbericht beigesteuert hat. Unklar bleibt weiterhin, warum sich die Sonderermittler:innen zwar mit den Betroffenen getroffen und ihre Anliegen und Fragen aufgenommen haben, doch diese sich im Schlussbericht nicht wiederfinden.

Staatsschutz überprüft mit Staatsschutz den Staatsschutz

Andreas Majewski erklärte einleitend, dass es seltsam wirken könnte, dass er als Leiter der BAO Fokus als Staatsschützer zusammen mit anderen Staatsschützern die Arbeit des Staatsschutzes zu untersuchen habe. Doch man konnte auf das wichtige Kopfwissen, der vorangegangenen Staatsschutzgruppen zur Anschlagsserie nicht verzichten. Generell sei für Majewski die auch von der Zivilgesellschaft kritisierte personelle Fluktuation ein Problem, bei der viel Wissen über die Berliner extreme Rechte verloren gehe. Dies führte dazu, dass die Mitglieder der ehemaligen Ermittlungsgruppe Rechte Straftaten in Neukölln (EG RESIN) komplett in der BAO Fokus aufgingen, obwohl die BAO die Ermittlungen der EG auf mögliche Fehler zu überprüfen hatte.

Deutlicher wurde Majewski in der Bewertung der nicht zusammengeführten Hinweise auf die Gefährdung von Ferat Koçak und damit verbundenen nicht vollzogenen Warnung seiner Person oder Intervention gegenüber den Tatverdächtigen. Die Arbeit mit dem polizeilichen Fallbearbeitungssystem „CASA“, um Hinweise, Beobachtungen und Erkenntnisse zusammenzufassen, war schlichtweg nicht möglich, weil es nicht genügend geeignetes wie geschultes Personal gab, die das System bedienen konnten. Unter dieser Voraussetzung kann gesagt werden, dass die Ermittlungen zur Begegnung der rechten Anschlagsserie in diesem Punkt unzureichend geführt wurden. Und das, obwohl den Betroffenen immer wieder versprochen wurde, dass der Neukölln-Komplex seit Gründung der BAO FOKUS beim LKA allerhöchste Priorität habe. Bezeichnend war auch die Aussage Majewskis, dass er auf mögliche Kontinuitäten von NW Berlin zum Neukölln-Komplex erst nach Hinweis der linken Abgeordneten Anne Helm aufmerksam wurde.

Weiter wirkte die Aussage von Majewski, dass man sich in der BAO Fokus die Ermittlungen zum Neukölln-Komplex erst ab 2016 angesehen hat, befremdlich – auch wenn dies mit mangelndem Personal und dem Druck, zeitnah Ergebnisse zu präsentieren, begründet wurde. Die rechte Anschlagsserie in Neukölln lässt sich nicht auf die Jahre ab 2016 reduzieren. Ebenso täuscht dieser späte Überprüfungsbeginn der Ermittlungen darüber hinweg, dass der Neukölln-Komplex erst 2016 begonnen hätte. Der Neukölln-Komplex ist größer als die möglichen Hauptverdächtigen und mögliche Verstrickungen in die Sicherheitsbehörden. Die Hauptverdächtigen sind Teil eines extrem rechten Netzwerks, begünstigt durch ein gesellschaftliches Klima. Diesen Umstand aufzuzeigen und zu benennen wird weiter Aufgabe des Untersuchungsausschusses und seiner Aufklärung sein.