Nach Mietendeckel-Urteil: Bund muss handeln!
"Es geht nicht um irgendein Luxusprodukt, dass man sich entweder leisten kann oder halt nicht. Wir reden hier von einem Grundrecht und Grundbedürfnis! Mit dem Mietendeckel wollten wir dem Grundrecht auf Wohnen Geltung verschaffen. Weil der Bund sich weigert, mussten wir es selbst in die Hand nehmen, um Mieter:innen vor Mietenexplosion und Verdrängung zu schützen. Jetzt ist klar, Berlin darf es nicht, aber der Bund der darf und der muss jetzt auch!" sagt Anne Helm.
77. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 22. April 2021
Anne Helm (LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man muss nicht darum herumreden – die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel ist für die rot-rot-grüne Koalition, für die Mieterinnen und Mieter in Berlin, aber auch für die Bundesländer insgesamt ein herber Rückschlag. Karlsruhe hat jetzt also entschieden, dass die Bundesländer nicht die Gesetzgebungskompetenz haben, um die Mieten zu begrenzen. Die Opposition feixt rum, aber das Urteil kam tatsächlich überraschend.
Hinterher kann man natürlich immer anderes behaupten, aber der Senat und die Koalition haben sich die Sache nicht leicht gemacht. Über Monate hinweg wurde diskutiert, wurden unterschiedliche Modelle gegeneinander abgewogen, Konzepte erstellt – in jedem Schritt von juristischen Expertinnen und Experten von außen unterstützt, und am Ende haben mehr als zehn Professoren des öffentlichen Rechts und des Zivilrechts gesagt: Die Länder haben die Kompetenz zur Regelung.
Eine Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat am 20. Oktober, also noch vor dem Inkrafttreten der Absenkungsregelung, in der Frage der Zuständigkeit ausgeführt: Diese „muss jedenfalls als offen bezeichnet werden“. Wer also hinterher meint, es sei von Anfang an klar gewesen, dass der Mietendeckel vor Gericht scheitern wird, dem kann ich nur sagen: Das ist schlichtweg falsch.
Es gab und es gibt gute Argumente für die Landeskompetenz, und ich will es noch mal betonen: Das Gericht hat nur in der Frage der Kompetenz entschieden und eben nicht in der Sache.
Wir haben immer gesagt, dass wir mit dem Mietendeckel juristisches Neuland betreten und ein Experiment wagen, und dazu stehen wir auch jetzt noch, denn wir hatten gute Gründe dafür. Berlin ist bundesweit der Hotspot am Mietenmarkt. Nirgendwo sonst sind die Mieten in den letzten Jahren so explodiert wie hier. Innerhalb von zehn Jahren haben sich die Angebotsmieten verdoppelt. Die Entwicklung der Einkommen der Berlinerinnen und Berliner kann schon lange überhaupt nicht mehr mithalten.
[Georg Pazderski (AfD): Alles Schuld von R2G!]
– Na klar: Seit zehn Jahren R2G! Ach! Reden Sie doch nicht! –
Kurz: Die Menschen in dieser Stadt können sich das Wohnen nicht mehr leisten, doch der Bund weigert sich beharrlich, zu regulieren und in den Wohnungsmarkt einzugreifen. Die Mietpreisbremse ist schlicht zahnlos und unzureichend, und der Opposition hier fällt nichts anderes ein, als völlig abgehoben nach Marie-Antoinette zu sagen: Wenn die Menschen sich die Mieten nicht leisten können, dann sollen sie doch Wohnungen kaufen. Das ist wirklich absurd und hat mit dem Leben der Menschen in dieser Stadt nichts zu tun.
Es geht nicht um irgendein Luxusprodukt, dass man sich entweder leisten kann oder auch nicht. Wir reden von einem Grundrecht und einem Grundbedürfnis. Man kann nicht nicht wohnen.
Mit dem Mietendeckel haben wir versucht, dem Grundrecht auf Wohnen Geltung zu verschaffen. Weil der Bund sich weigert, das zu tun, mussten wir es selbst in die Hand nehmen, und – ja – das war ein Risiko, aber wir haben versucht, die Berlinerinnen und Berliner vor dieser Mietenexplosion und der Verdrängung zu schützen, und dazu können wir auch stehen.
Es ist doch so: Wer kämpft, kann verlieren und Rückschläge erleben, aber wer nicht kämpft, der hat schon verloren, und jetzt ist klar: Berlin darf es nicht, aber der Bund – der darf, und der muss jetzt auch.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass die Mieterinnen und Mieter mit dem Mietendeckel bessergestellt worden sind als zuvor mit der Mietpreisbremse. Sie fallen jetzt auf diese Regelung zurück, sie fallen aber nicht – und das geht in der Debatte manchmal unter – hinter diese Regelung der Mietpreisbremse zurück. Berliner Mieterinnen und Mieter werden jetzt nicht stärker belastet als in anderen Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten, sondern bedauerlicherweise genauso stark – und das ist zu stark.
– Bitte keine Zwischenfragen!
Präsident Ralf Wieland:
Keine Zwischenfragen!
Anne Helm (LINKE):
Wir wollen hier Waffengleichheit. – Viele Vermieterinnen und Vermieter fordern jetzt sehr schnell Nachzahlungen von den Mietern und Mieterinnen. Diese müssen unter Umständen schon bei der nächsten Miete beglichen werden. Wir als rot-rot-grüne Koalition übernehmen natürlich Verantwortung und lassen die Mieterinnen und Mieter jetzt nicht im Stich.
Wir müssen unter allen Umständen verhindern, dass Menschen ihre Wohnungen verlieren, weil sie Nachzahlungen im Moment nicht leisten können.
Ebenso müssen wir verhindern, dass Eigentümerinnen und Eigentümer jetzt versuchen, die Gunst der Stunde zu nutzen und unliebsame Mieterinnen und Mieter direkt vor die Tür zu setzen. Deshalb bin ich sehr froh, dass Sebastian Scheel und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen es innerhalb weniger Tage geschafft haben, ein Hilfsprogramm für Mieterinnen und Mieter aufzulegen, die die Mietnachzahlungen nicht leisten können.
Dafür stehen 10 Millionen Euro bereit, die als zinslose Darlehen zur Überbrückung der Nachzahlungen vergeben werden, und wenn Mieterinnen und Mieter nicht in der Lage sind, diese Darlehen später zurückzuzahlen, wird geprüft, ob auf die Rückzahlung dieses Geldes verzichtet werden kann. Vielen Dank für diesen Kraftakt!
Dafür haben wir übrigens auch die CDU und ihren ach so dringlichen Antrag nicht gebraucht. Das war längst erledigt.
[Georg Pazderski (AfD): Bayerisches Geld
lässt sich gut ausgeben, was?]
– Lassen Sie mich doch erst mal sprechen, hören Sie ein bisschen zu, vielleicht lernen Sie noch was. – Das muss an dieser Stelle vor allem schnell und unbürokratisch abgewickelt werden, denn die Zeit drängt. Für Menschen, die Leistungen vom Jobcenter, Sozialamt oder Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten beziehen, werden die Nachzahlungen übrigens vom Amt erstattet.
Die Betroffenen sollten sich so schnell wie möglich an ihre zuständige Behörde sowie an die Vermieterinnen und Vermieter wenden. Das gilt ebenso für Menschen, die Wohngeld bekommen. Wir empfehlen allen Mieterinnen und Mietern, sich rechtlich beraten zu lassen. Die kostenlosen Mieterberatungsstellen der Bezirke stehen hierfür zur Verfügung, und natürlich auch wir sind direkt ansprechbar. Bitte holen Sie sich Beratung!
Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften werden natürlich keine Mietnachforderungen stellen.
Das ist eine Selbstverständlichkeit, und für uns als Linke ist es nur konsequent, dass die Regelungen des Mietendeckels für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften auch weiterhin Gültigkeit haben sollten.
Ich wende mich an dieser Stelle aber auch direkt an die Vermieterinnen und Vermieter! Diese haben immer wieder betont, dass es eines Instruments wie des Mitteldeckels nicht bedarf, da sie sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst seien. – Liebe Vermieterinnen, liebe Vermieter! Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen! Zeigen Sie jetzt, in der Stunde, in der es so wichtig ist, dass das nicht nur markige PR-Sprüche waren!
Nachdem das Urteil Donnerstag früh bekannt gegeben wurde, waren am Abend – ich glaube, es waren sogar – 20 000 Berlinerinnen und Berliner auf der Straße. Das war, ohne zu übertreiben, meiner Erinnerung nach – und ich war schon auf vielen Demos – die größte Spontandemonstration, an die ich mich erinnern kann.
Dort war keine Resignation zu spüren – ganz im Gegenteil: Die Demonstrantinnen und Demonstranten, also die Mieterbewegung dieser Stadt, sagt: Jetzt erst recht! Wenn die Landesregierung nicht handeln darf, dann muss es die Bundesregierung tun und einen bundesweiten Mietendeckel einführen.
Auch die Volksinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, die die Vergesellschaftung des Grunds und Bodens und darauf stehender Wohnungen großer Immobilienkonzernen fordert, bekommt im Moment enormen Zuspruch. Der Druck auf der Straße zeigt uns, dass wir in unserer Mietenpolitik auf dem richtigen Weg sind. Wir werden weiter nach kreativen Möglichkeiten suchen und alle gesetzlichen Spielräume ausschöpfen, um in Berlin die Mieten zu drosseln. Wir wollen möglichst viele Wohnungen dem überhitzten Markt entziehen. Das machen wir, indem wir uns für Rekommunalisierung, Milieuschutz und bezahlbaren Neubau einsetzen und natürlich auch weiterhin die Vergesellschaftungsinitiative unterstützen und deren Umsetzung vorantreiben.
Was vom Mietendeckel bleibt, ist vor allen Dingen eine Erfahrung, die nach Jahren der Untätigkeit der Bundesregierung und der Mietenpolitik vielen Hoffnung gemacht hat – und eben das Gegenteil von Politikverdrossenheit.
Politik muss nämlich nicht vor dem Markt kapitulieren. Wir haben die Möglichkeit, einzugreifen und den Markt zu regulieren. Wir haben mit dem Berliner Mietendeckel gezeigt, dass steigende Mieten kein Naturgesetz sind. Die Bundesregierung ist nun in der Pflicht zu handeln. Das ist die Pflicht gegen Politikverdrossenheit.
Das zwingt mich, jetzt zum Schluss noch über ein ganz unangenehmes Thema zu sprechen
[Georg Pazderski (AfD): Sie haben es
in der DDR schon nicht gekonnt!]
– wenn ich denn darf, meine Herren! –, nämlich über die CDU.
Manchmal ist die Realität ja leider fast platter als ein Groschenroman. – Liebe CDU! Lieber Herr Dregger! Ihre Partei trägt im Bund die Verantwortung und verhindert seit Jahren aktiv ein soziales Mietrecht. Währenddessen hängen Sie direkt am Tropf der Immobilienwirtschaft. Allein 800 000 Euro haben Sie im letzten Jahr vom Bauunternehmer Christoph Gröner eingestrichen. Immerhin, das muss man Ihnen lassen, machen Sie wenigstens transparent, wen Sie hier im Parlament vertreten.
Sie sind ja nicht nur finanziell, sondern auch personell aufs Engste mit der Immobilien-Lobby liiert. Nehmen wir das Beispiel ZIA, des Zentralen Immobilien Ausschusses, also des Spitzenverbands der Immobilienwirtschaft! Von drei Geschäftsführenden ist eine ehemalige CDU-Landesministerin und einer ehemaliger CDU-Staatssekretär – und dieser übt die ZIA-Geschäftsführung und das Bundestagsmandat der CDU derzeit sogar gleichzeitig aus.
Ich glaube, viel mehr muss ich an dieser Stelle gar nicht sagen, auch wenn ich die Liste noch ewig fortführen könnte. Die Wählerinnen und Wähler werden ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen können.
Herr Dregger! Was wir aber nicht einfach so stehenlassen können, ist, dass Sie sich jetzt hier hinstellen und über die Notlage der Mieterinnen und Mieter klagen. Das ist wirklich pure Heuchelei, denn diese Notlage hat vor allem die CDU zu verschulden.
Wir haben in Berlin den Mietendeckel verloren, das müssen wir eingestehen. Die Idee hat aber inzwischen Flügel bekommen, weit über Berlin hinaus. Wir haben damit das Thema Regulierung der Mieten bundesweit auf die Agenda gesetzt. Es gibt jetzt eine bundesweite Kampagne zum Mietenstopp, die von vielen Verbänden und Initiativen getragen wird. Auch die Linksfraktion im Bundestag hat schon einen Antrag für einen bundesweiten Mietendeckel eingebracht. Wenn die Bundesregierung, und allen voran der Heimatminister, nicht willens ist, das Zuhause der Mehrheit der Menschen in unserem Land zu schützen, dann ist es an der Zeit, dass sie endlich Platz macht für Menschen, die das anpacken. – Herzlichen Dank!