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Angesichts steigender Energiekosten sozialen Zusammenhalt in Berlin sichern

Sandra Brunner

"Ich bin froh, dass das Thema Armut und Energiearmut hier in der Berliner rot-grün-roten Koalition ernst genommen wird. Wir sprechen intensiv über Maßnahmen, was wir auf Berliner Ebene tun können, um Armut und Ausgrenzung entgegenzuwirken. Wir wollen, dass niemand seine Wohnung verliert. Wir wollen, dass niemand Dunkeln sitzt." sagt Sandra Brunner in der Aktuellen Stunde im Abgeordnetenhaus.

13. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 09.06.2022

Zur Aktuellen Stunde

Sandra Brunner (LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Knapp über 36 Euro, das ist der Betrag, den ein Mensch monatlich für Strom zur Verfügung hat, wenn der Mensch Hartz IV oder Sozialhilfe bezieht. Um zu sehen, dass das nicht reicht, genügt doch eigentlich schon ein Blick in unsere eigenen Stromkostenzahlungen. Das Problem der Energiearmut ist kein neues, es ist seit vielen Jahren bekannt. Die Wohlfahrtsverbände weisen seit Jahren darauf hin, und sie sagen ebenso, dass der Regelsatz auf über 600 Euro angehoben werden muss, damit es damit ein menschenwürdiges Leben geben kann.

Tatsächlich ist der Regelbedarf in diesem Jahr nur um 3 Euro angestiegen – das ist weniger als 1 Prozent –, und gleichzeitig galoppiert uns die Inflation mit über 7 Prozent davon. Wenn wir einkaufen gehen, merken wir das alle. Wir greifen alle tiefer in das Portemonnaie, wenn wir Mehl, Speiseöl, Obst und Gemüse einkaufen. Die Berliner Lebensmittelausgabestellen „Laib und Seele“ berichten davon, dass sich mittlerweile viel, viel mehr Menschen bei ihnen anstellen. Die Preise für Heizöl und auch Gas haben sich verdoppelt, und das dicke Ende, nämlich die gesamten Schlussrechnungen der Energieversorger und die Betriebskostenabrechnung, kommt erst noch. Deswegen glaube ich, dass wir hier vor einer enormen Armutsspirale stehen. Liebe CDU! Also nicht etwa irgendwelche Erhöhungen von Parkraumbewirtschaftungsgebühren sind sozusagen der soziale Sprengstoff, sondern tatsächlich die steigenden Preise bei den Energiekosten und Lebensmitteln und auch bei der Miete.

Mein Kollege Kurt von den Grünen hat das bereits angesprochen. 1 700 Haushalte waren im letzten Jahr ohne Kochmöglichkeit und ohne Heizung, weil ihnen der Gashahn zugedreht wurde. Über 12 500 Haushalte waren ohne Strom. Und Energiearmut ist wirklich eine enorme Form von Ausgrenzung. Eine kalte Wohnung, ganze Familien sitzen im Dunkeln, es gibt kein warmes Essen mehr, und der Kühlschrank ist mausetot! Deshalb geht es hier um schlichte Existenzsicherung. Es geht hier um nichts weniger als um Würde.

Ich bin sehr froh, dass das Thema Energiearmut und auch das Thema Armut in der Berliner rot-grün-roten Koalition ganz ernst genommen wird. Wir sprechen intensiv über Maßnahmen, die wir hier im Land Berlin ergreifen können, um tatsächlich Armut und Ausgrenzung zu verhindern. Wir wollen, dass niemand seine Wohnung verliert. Wir wollen, dass niemand im Dunkeln sitzt. Wir kümmern uns um den sozialen Zusammenhalt dieser Stadt. Im Koalitionsvertrag haben wir uns deshalb auch verabredet, einen Härtefallfonds zur Übernahme von Energieschulden aufzulegen. Das ist nicht etwa eine Ursprungsinitiative der CDU.

Die Hintergründe für solche Energieschulden sind sehr vielfältig – Einkommensarmut in aller Regel. Es besteht schon eine Verschuldungssituation, weil beispielsweise schon Mietrückstände bestehen oder weil Menschen ein Darlehen beim Jobcenter abzahlen müssen, weil sie sich gerade einen neuen Kühlschrank anschaffen mussten, oder aus persönlicher Überforderung oder weil psychische Ausnahmesituationen vorliegen. Deswegen ist es richtig, dass Rot-Grün-Rot mit der Rücklage für die Energiekostensteigerung versucht, die Energiekostensteigerungen sowohl im öffentlichen wie im privaten Bereich abzufedern. Immerhin wollen wir dafür 380 Millionen Euro in den nächsten beiden Jahren einstellen – und darunter auch der Härtefallfonds gegen Energiearmut. Dieser Härtefallfonds Energiearmut soll sich vor allem an Haushalte mit geringen Einkommen richten.

Selbstverständlich steht auch der Kampf gegen Kinderarmut weiter auf der Tagesordnung. Ein Viertel der Berliner Kinder und Jugendlichen ist auf Hartz IV angewiesen, davon kommt die Hälfte aus Alleinerziehendenhaushalten. Auf Berliner Ebene können wir leider nicht die Kindergrundsicherung einführen. Wir können auch leider nicht den Hartz-IV-Regelsatz anheben. Aber was wir tun und was wir schaffen, das ist, die Voraussetzung dafür hinzukriegen, dass Berliner Kinder und Jugendliche so viel Teilhabe wie möglich haben und wir Armutsfolgen abmindern. Offen gesagt, in der letzten Legislatur, als Rot-Rot-Grün das kostenlose Schülerticket eingeführt hat, ist mir wirklich das Herzchen aufgegangen. Also nicht nur, dass man zur Schule fahren kann, sondern auch nachmittags kostenfrei in den Sportverein oder in den Musikunterricht!

Das Mittagessen für Grundschülerinnen und Grundschüler ist kostenfrei geworden, und auch in diesem Jahr mit diesem Haushalt, den wir wahrscheinlich in 14 Tagen verabschieden werden, setzen wir entsprechende Schwerpunkte. Rot-Grün-Rot wird für die Kinder in der 3. Klasse die Beitragsfreiheit für den Hort einführen. Wir geben mehr als 4 Millionen Euro in die Familienberatungsstellen und auch in die Erziehungsfachstellen. Wir geben fast 1 Million Euro in die Bezirke zur Bekämpfung der Kinderarmut. Es gibt den kostenfreien Museumssonntag, und – mir ganz besonders wichtig – wir werden den Berliner Landesmindestlohn auf 13 Euro anheben, damit man von der Arbeit auch tatsächlich leben kann.

Das ist konkrete Arbeit für den sozialen Zusammenhalt in dieser Stadt. Dabei spielt auch die AV Wohnen eine wichtige Rolle. Sie ist ein zentrales Instrument seit Jahren. Es ist die Wohnkostenregelung für die Menschen, die im Sozialleistungsbezug sind, und sie sorgt dafür, dass Menschen in dieser Stadt, die wenig Geld in der Tasche haben, weiterhin ihre Wohnung ihr Zuhause nennen können. Auch deswegen haben wir uns verabredet, dort die Richtwerte bei der Bruttokaltmiete und auch bei den Heizkosten anzupassen. Wir haben uns darauf verabredet, dass Mietschulden und auch Energieschulden regelhaft als Beihilfe übernommen werden sollen, nicht nur als Darlehen. Von einer solchen Regelung werden vor allem Erwerbungsminderungsrentner und -rentnerinnen und Altersrentner und -rentnerinnen profitieren. Das sind solche Menschen, deren Rente zum Leben nicht reicht und bei denen vor allem chronische Erkrankungen vorliegen. Gleichzeitig kann das Land Berlin natürlich nicht der Ausfallbürge dafür sein, wenn der Bund seine Hausaufgaben bei den steigenden Energie- und Mietpreisen nicht in ausreichendem Maße macht. Das sogenannte Energieentlastungspaket verzeichnet erhebliche Leerstellen. Tatsächlich ist es so, dass die Einmalzahlung für Rentnerinnen und Rentner – davon ist immerhin jeder Fünfte in der Bundesrepublik arm – und die Einmalzahlung für Studierende sich nicht in diesem Entlastungspaket findet. Da hat die CDU mit ihrer Kritik recht, aber dafür trägt nicht der Berliner Senat die Verantwortung, sondern die Ampelkoalition im Bund.

Lieber Herr Bauschke! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP! An der Stelle muss ich schon sagen, dass es Ihr Finanzminister im Bund ist, der die Umverteilung von unten nach oben vorantreibt. Die Idee, billiger Tanken und Bahnfahren, ist mit Blick auf den Tankrabatt krachend gescheitert.

Die Züge sind zu Pfingsten voll, die Punks feiern auf Sylt, aber tatsächlich steigt der Spritpreis, und zwar trotz Absenkung der Mineralölsteuer. Hier wirtschaften sich vor allen Dingen die Mineralölkonzerne in die eigene Tasche.

Aus meiner Sicht ist es ein Armutszeugnis, dass die FDP sich massiv für den Tankrabatt einsetzt, damit Konzerne mit Staatsgeld subventioniert und gleichzeitig jegliches Abschöpfen von Extraprofiten verhindert wird.

Präsident Dennis Buchner:

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Krestel von der FDP-Fraktion?

Sandra Brunner (LINKE):

Nein, vielen Dank! – Deswegen ist es richtig, dass der Berliner Senat der Bremer Bundesratsinitiative zur Einführung einer Übergewinnsteuer beitreten wird.

Wer von Krisen und Kriegen profitiert, der muss zahlen, und das sind vor allem die Energiekonzerne.

Aus meiner Sicht brauchen wir jetzt erst recht einen sozialen Interessenausgleich. Die Idee von Bundesminister Heil für ein soziales Klimageld begrüßen wir als Linke; lassen Sie uns über die Ausgestaltung diskutieren. Wir brauchen für einen sozialen Interessenausgleich aber auch einen Energiepreisdeckel. Ein Interessenausgleich muss selbstverständlich auch den Schutz von Mieterinnen und Mietern beinhalten. Vonovia macht es gerade mit der Ankündigung zu seiner Mieterhöhung vor, dass diesem Konzern Mieterschutz schlichtweg schnurzegal ist und nur die eigene Rendite zählt. Deswegen braucht es einen bundesweiten Mietendeckel. Freiwillige Verpflichtungserklärungen von Wohnungsunternehmen reichen an dieser Stelle nicht aus.

Selbstverständlich ist der Bund in der Pflicht, sich deutlich mehr um Transferleistungsbeziehende zu kümmern. Die Regelsätze bei Hartz IV in der Sozialhilfe und beim Asylbewerberleistungsgesetz müssen deutlich angehoben werden. Aus meiner Sicht fände ich es gut, wenn Energieschulden tatsächlich als Beihilfe übernommen werden anstatt wie bisher als Darlehen. Wir müssen für die Betroffenen die Verschuldungsspirale, die Armutsspirale durchbrechen. Ich wünsche mir sehr, dass die Ampelkoalition im Bund die jetzige Übergangsregelung zur Übernahme der Wohnkosten fortführt. Bisher werden bis zum Ende dieses Jahres die vollständigen Miet- und Heizkosten übernommen. Die Regelung ist leider wegen der Covid-19-Pandemie befristet, aber ich denke, die aktuellen Krisenzeiten gebieten es, diese Regelung fortzusetzen.

Wir müssen uns immer vergegenwärtigen: Die Wohnung ist das eigene Zuhause, und gerade bei Transferleistungsbeziehenden ist die Wohnung oftmals der einzige soziale Ankerpunkt, den diese Menschen noch haben. Wichtig ist mir auch – auch hier ist der Bund in der Pflicht –: Energie- und Gassperren müssen verboten werden, weil es um ein Leben in Würde geht.

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