§ 175: Statt Sonntagsreden endlich Dokumentation und Forschung fördern

20. Jahrestags der Aufhebung des § 175 a.F. StGB für Westdeutschland

Anlässlich des 20. Jahrestags der Aufhebung des § 175 a.F. StGB für Westdeutschland durch den Deutschen Bundestag erklärt der rechtspolitische Sprecher Klaus Lederer:

Heute vor 20 Jahren hat der Deutsche Bundestag seine Verpflichtung aus dem Einigungsvertrag erfüllt und den § 175 StGB, der im Ostteil der Bundesrepublik bereits nicht mehr galt, abgeschafft. Diese Norm diskriminierte durch unterschiedliche Schutzaltersgrenzen homosexuelle Männer. Damit war die letzte strafrechtliche Verfolgungsnorm für einvernehmliche homosexuelle Kontakte zwischen erwachsenen Männern gefallen. Bis heute allerdings warten die Betroffenen auf Rehabilitierung und Entschädigung – auf das Anerkenntnis, dass auch in der Bundesrepublik und der DDR nach 1945 schwere Menschenrechtsverletzungen begangen worden sind. Gebrochene Biografien, das Stigma der Sexualstraftäterschaft, berufliche und persönliche Nachteile, die vielfach existenzgefährdend sind – all das bleibt. Hier ist die Politik auf Bundes- und Länderebene gefragt. Gerade Berlin aber bleibt weit hinter den Notwendigkeiten zurück, Senatorin Kolat begnügt sich mit Sonntagsreden und Schirmherrschaften, statt engagiert und mutig die Auseinandersetzung mit diesem Thema anzugehen.

Im Beschluss des Abgeordnetenhauses von 2009 über die Initiative »Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt« wurde der Dokumentation und Erforschung der Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ein großer Stellenwert eingeräumt. Viele Projekte hat der Senat noch 2010 und 2011 beschlossen. Geschehen ist dagegen seit Antritt der rot-schwarzen Koalition nicht mehr viel, das belegen die Antworten auf drei Kleine Anfragen aus den vergangenen zwei Jahren. Ohne Unterstützung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld wären die Aktivitäten in diesem Themenbereich längst zum Erliegen gekommen. Weder arbeitet der Senat an einer stärkeren Sichtbarkeit von Aktivist*innen der homosexuellen Emanzipationsbewegung im Stadtbild, noch unternimmt er Schritte zur Sicherung des Erbes und Archivs von Magnus Hirschfeld, noch arbeitet er an der Wiedererrichtung des von den Nazis geschändeten Instituts für Sexualwissenschaft, noch sind ersichtlich Aktivitäten gestartet worden, um die Erforschung von Repression und Verfolgung endlich beherzt zu ermöglichen. Gezielte finanzielle Unterstützung für derartige Aktivitäten ist seit 2012 im Landeshaushalt nicht mehr vorgesehen. Das sei nicht notwendig, so die Koalition. Rheinland-Pfalz investiert im Vergleich dazu für 2014/15 nahezu 200.000 Euro für Forschung, Dokumentation und schulische Bildungsarbeit, in anderen Bundesländern geschieht Ähnliches. Der Berliner Senat sollte sich nicht länger mit fremden Federn schmücken, sondern endlich selbst aktiv werden. Es muss Schluss sein mit den Sonntagsreden der zuständigen Senatorin.

Ich fordere den Senat auf, dem Thema endlich mehr als warme Worte zu widmen. Vor allem fordere ich aus Anlass des heutigen Jubiläums eine Bundesratsinitiative des Landes Berlin mit dem Ziel, die Akten über die Verfolgung und Repression in der gesamten Bundesrepublik vor Vernichtung oder Zerfall zu sichern. Berlin war die Hauptstadt queeren Lebens in der Weimarer Republik, hier haben die Nazis die Betroffenen durch unbeschreiblichen Terror rechtlos gestellt. Nach 1945 war im Osten wie im Westen der Stadt für die Männer mit dem Rosa Winkel »das Dritte Reich noch nicht zu Ende«, wie der Historiker Schoeps 1963 schrieb. Berlin droht bei der Aufarbeitung seiner eigenen Geschichte zu versagen – die Verantwortung dafür tragen SPD und CDU.

(Anlage Antwort des Senats auf Anfrage DS 17/13077)