Am 28. November 2023 luden die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dr. Manuela Schmidt, kulturpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Abgeordnetenhaus von Berlin und die stadtentwicklungspolitische Sprecherin Katalin Gennburg zum Fachgespräch ein. Die Veranstaltung, an der rund 50 Personen im Abgeordnetenhaus und online teilnahmen, trug den Titel „Neue Konzepte für alte Räume: Wie können kulturelle und soziale Projekte vom Leerstand im Einzelhandel profitieren?“

Nach einer Begrüßung und Einführung durch den Moderator Niklas Schenker berichtete als erster Daniel Schnier von der ZwischenZeitZentrale Bremen. Waren leerstehende Räume zunächst kurzfristig angemietet, so konnten durch Gründung einer Genossenschaft bald Verträge für eine dauerhafte Überlassung abgeschlossen werden. Wie beim Mietshäuser-Syndikat wurden Orte geschaffen, die eine Beständigkeit haben. Die weiteren Ziele seien ambitioniert. Die ZwischenZeitZentrale will das Rathaus in Blumenthal nutzen, aus Zwischennutzungen in Dauernutzungen kommen, etwa mit einem Leihvertrag in Höhe von null Euro für das Sportamt neben dem Weserstadion.

Nicht ganz so optimistisch fällt die Bilanz von Marco Hosemann aus, der für DIE LINKE in der Bezirksversammlung Hamburg Nord im Stadtentwicklungsausschuss sitzt. Der ehemalige Karstadt Sports und gegenüber die Galeria Karstadt Kaufhof sind beide 2020 leergefallen. Es gab großes Interesse an einer Nachnutzung, nicht nur wegen der tollen Dachterrasse. Im Juni 2022 kam ein erstes Treffen im Kaufhaus zustande. Aber es blieb die Frage im Raum, wie die Initiative das Geld zusammenbekommt. Eine Stiftung half, es wurde Mobiliar aus Papphockern angefertigt, ein Spielecafé entstand für Kinder und Eltern, und so wurde aus Karstadt Artstadt. Der Kultur- und Finanzsenator kam und klopfte der Initiative altväterlich auf die Schulter. Das Geld floss letztlich jedoch nur in die Mietverpflichtungen zugunsten des Eigentümers des ehemaligen Warenhauses, nicht in die Einrichtung. Es kam zu einer Nutzungsverlängerung, aber die zweite Nutzung entwickelte sich sehr exklusiv. Der Ort erfuhr durch die Nachnutzung eine Aufwertung und ist nun kommerzialisiert. Man könne dort jetzt Kunst kaufen und Kinder könnten mit dem nötigen Kleingeld ihrer Eltern Drohnen fliegen lassen.

Konrad Braun vom Haus der Statistik am Alexanderplatz lieferte den ersten Bericht aus Berlin. Der Kaufmann und Architekt verweigerte sich, für die Nutzung der Liegenschaft in zentralster Lage den Terminus Zwischennutzung zu gebrauchen. Wir müssten Strategien und Werkzeuge für dauerhafte Ort entwickeln. Der erste große Schritt bestünde darin, überhaupt erstmal an die Fläche zu kommen. Auch seine Initiative gründete eine Genossenschaft, die Vertragspartner vom Land wird. Diese musste eine Baugenehmigung beantragen sowie einen Antrag auf Umnutzung ehemaliger Handelsflächen zu Kunst- und Kulturflächen. Dieser Antrag kostete die Genossenschaft insgesamt 120.000 Euro. Die drei vorgesehenen Experimentierhäuser würden über Förder- und Eigenkapitalmittel finanziert. Die Genossenschaft stehe aktuell vor der Frage, einen Generalmietervertrag mit 30 Jahren Dauer abzuschließen und Mieterdienstbarkeiten zusätzlich im Grundbuch abzusichern oder ein Erbbaurecht für 66 bis 99 Jahre zu erhalten. Für das Haus der Statistik würden für die Kreativmieter*innen leistbare Flächen benötigt; diese lägen nicht bei 25 Euro Miete, sondern bei 7 bis 12 Euro pro Quadratmeter.

Kristin Lazarova von der Netzwerkstelle Urbane Praxis erläuterte anhand Berliner Beispiele kreative Zwischen- und Nachnutzungen. Die Netzwerkstelle hat etwa auf einer Karte markiert, wo es in Neukölln Räume gibt, in denen nicht konsumiert werden muss. Ein „fiktives Amt für gemeinnützige Dachlandschaften“ wurde temporär auf einem leeren Parkdeck eröffnet: „open roof“ war das Motto.

Jole Wilcke berichtete, dass die Kulturraum Berlin gGmbH seit 3 Jahren am Arbeitsraumprogramm arbeite. Die landeseigene gemeinnützige Firma sei Generalmieter bei privaten und landeseigenen Vermietern. Dann legten Vergabebeiräte fest, an wen „untervermietet“ werde, für fünf Euro Miete pro Quadratmeter. Eine Pioniernutzung für das „Ring-Center 1“ wurde ausgeschrieben, die über anderthalb Jahre ging. Das sei auch für die Shopping Mall interessant gewesen, wobei von vornherein feststand, dass dies nur temporär ist, weil das Center komplett umgebaut wird. Leider seien die Kapazitäten der Kulturraum gGmbH begrenzt. Im großen Stil Vermietmodelle anzubieten sei nicht möglich.  

Phillip Haverkamp, Geschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg e.V., der 85% des Berliner Einzelhandels und auch die Shopping-Center vertritt, berichtete von messbaren Einbrüchen in der Konsumstimmung. Die Rücklagen der Einzelhändler seien wegen Corona aufgebraucht, es gebe kein Kapital für wichtige Investitionen. Die Vermieter von Einzelhandelsflächen seien bereit für kulturelle und soziale Nutzungen, wenn sich das „große Ganze“ in einem Center abbilde. Nicht jede Fläche müsse sich rentieren. Seitens der Centerbetreiber gebe es mittlerweile eine größere Offenheit. Leerstände träten teils kurzfristig auf. Durch Überzeugungsarbeit könne eine reduzierte Miete ermöglicht werden, weil es einen Mehrwert für den Komplex gebe. Für die Friedrichstraße sei die Bibliothek im bald aufgegebenen Warenhaus „Lafayette“ die beste Lösung. Die Straße brauche ein Kraftzentrum, das Frequenzen in die Straße bringe.

Auf die Nachnutzung durch eine Bibliothek gingen sowohl Regina Kittler vom Deutschen Bibliotheksverband Berlin als auch Jonas Fansa von der Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) ein. Die zwei bereits vorhandenen Bibliotheken in Shopping-Centern – im „Schloss“ in Steglitz und im „Linden-Center“ in Hohenschönhausen – sind keine Nachnutzungen. Sie wurden beim Centerbau gleich im Auftrag der Bezirke mitgebaut. Im „Schloss“ wurde die Fläche – die ganze 3. Etage – gekauft, wohingegen die Bibliothek im „Linden-Center“ Mieterin ist und seit 1995 kräftig zahle. Die Öffnungszeiten seien an das Einkaufscenter angelegt, von 9 bis 20 Uhr mit einem open library- Konzept. Davon würden auch Zufallsbesucher profitieren. Das sei auch für die ZLB in der Friedrichstraße zu erwarten. In anderen Städten hätte der Umbau großer Kaufhäuser schon stattgefunden, so in New York mitten auf der Fifth Avenue.

Jonas Fansa berichtete davon, dass die Einpassungsuntersuchung für die ZLB ergeben hätte, dass der Architekt des Lafayette, Jean Nouvel das Gebäude in den 90er Jahren schon so geplant hätte, als sei später eine Nachnutzung durch eine Bibliothek vorgesehen. Es gebe nur einen Wermutstropfen: Magazine könnten nicht vollständig dort untergebracht werden, aber das sei kein Drama, denn es gebe noch ein Außenmagazin und das Untergeschoss reiche für das Nahmagazin. International gebe es starke Stadtentwicklungsimpulse durch neue Bibliotheken. Sie würden dort hingesetzt, wo Passant*innen-Frequenz sei. Der Stellenwert der öffentlichen Bibliotheken als Dritte Orte (third places) sei für die Städte enorm, gerade für die soziale Inklusion, auch als wichtiger Baustein in der Demokratiekultur.

In der abschließenden Diskussion wurde hervorgehoben, dass gerade die Shopping-Center für eine kulturelle Nutzung in Frage kämen. Die Center seien „komplett durch“, das Konzept funktioniere nicht mehr. Die kulturelle Folgenutzung in einem solchen Center sei nicht die oberste Priorität, aber Ausdruck der Raumnot in den Städten gerade für den Kulturbereich. Es komme bei der Folgenutzung darauf an, möglichst dauerhafte Orte zu schaffen, Interessengruppen ausfindig zu machen, die verschiedenen Akteure zusammenzuführen, die Partnerschaften und tragfähige Bündnisse ermöglichten. Eine sozialökologische Transformation in einer anderen Logik als der privatwirtschaftlichen zu finden sei eine langfristige Zielstellung. Möglich werden könnte dies etwa über städtebauliche Verträge, mit denen günstige Mieten vergleichbar dem kooperativen Baulandmodell festgelegt werden, als Kompensation für Gewinne, die aus dem Recht zu bauen entstehen.