Gegen notorische Impfverweigerer schützt die eigene Impfung, nicht die Demontage des Sozialstaats

Zur aktuellen Debatte um die Aussetzung der Lohnfortzahlung für ungeimpfte Menschen

erklärt der gesundheitspolitische Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Dr. Wolfgang Albers:

Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist eine soziale Errungenschaft, für die die arbeitenden Menschen in diesem Land lange kämpfen mussten. 1956 streikten die Metallarbeiter in Schleswig-Holstein 114 Tage für diese Forderung. Erst 1970 wurde sie umgesetzt und ist den Arbeitgebern seitdem ein Dorn im Auge. Zuletzt stellte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag 2015 die Lohnfortzahlung gänzlich infrage.

Nun soll offenbar durch das Verhalten einiger Impf-Trolle die Gunst der Stunde genutzt werden, um unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung den faktischen Ausstieg aus der Lohnfortzahlung einzuleiten. Warum dann eigentlich nur bei Corona? Was ist mit denen, die sich nicht rechtzeitig gegen all die anderen durch Impfung vermeidbaren Infektionskrankheiten und deren Folgen haben impfen lassen, sei es gegen die alljährlich auftretende Grippe-Pandemie? Und was ist mit jenen, die ungeimpft mit ihren ansteckenden Reisekrankheiten aus dem Urlaub zurückkommen?

Hier soll das allgemeine Lebensrisiko Krankheit individualisiert und damit durch die Hintertür das Schuld-Prinzip in die soziale Daseinsvorsorge eingeführt werden.
Warum soll die Allgemeinheit für vermeintlich selbstverschuldete Erkrankungen aufkommen? Wer definiert hier eigentlich das »selbstverschuldet«?

Was ist mit Extremsportlern und gilt die Schuldfrage dann auch bei den Verletzten im Straßenverkehr? Was ist bei Alkoholmissbrauch, bei der selbstverschuldeten Fettleibigkeit oder beim Raucherbein des Kettenrauchers?

Das ist die Büchse der Pandora, die da sozialpolitisch geöffnet wird. Der vermeintlich epidemiologische Effekt ist zu vernachlässigen, die Konsequenzen für unser Sozialgefüge dagegen wären enorm.

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