Kultur ist systemrelevant

Beschluss der Fraktion DIE LINKE. Berlin vom 29.09.2020

Aber: die Corona-Krise stellt genau dieses System in Frage und damit auch die Strukturen, in denen Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft arbeiten.

Im Verständnis der linken Politik ist Kulturgesellschaftsrelevant“.

Ohne einem Zweck verpflichtet zu sein, ist Kunst, ist Kultur essentiell für die demokratische Selbstverständigung unserer Gesellschaft. Wollen wir Fragen wie: „Wem gehört die Stadt? Wie können wir den Stadtraum so umgestalten, dass unser Zusammen-leben sozial und solidarisch ist?“ beantworten, sind es Kunst und Kultur, denen eine besondere Rolle zukommt: experimentell und partizipativ können mit künstlerischen Mitteln Möglichkeiten des gesellschaftlichen Umsteuerns und der Neuausrichtung erlebbar und sichtbar gemacht werden. Ein großes Potential von Kunst und Kultur liegt genau hier: in der Möglichkeit von Gesellschafts- und Stadtgestaltung!

Kulturpolitik ist eine politische Querschnittsaufgabe:

  • Kultur ist Teil von Bildung: kulturelle Bildung in Schule und Wissenschaft, in Musikschulen, Jugendkunstschulen und Volkshochschulen, in Jugendfreizeit-, Senior*innen- oder Fortbildungsstätten.
  • Kultur ist Teil von Stadtentwicklung: bei der Schaffung von Synergien und der Planung von neuen Stadtquartieren, dem Schulneubau, durch Kunst im öffentlichen Raum, durch das Schaffen von Arbeits- und Proberäumen, unter Einbeziehung der Arbeit von Stadtteilzentren und Quartiersmanagements. Kultur schafft „Dritte Orte“ für die Menschen in den Kiezen und trägt mit ihren dezentralen Angeboten zu einem guten Zusammenleben bei.
  • Kultur ist Teil von Integration und sozialer Teilhabe: durch die barrierefreie Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, von Menschen in Armut, von Migrant*innen und Geflüchteten
  • Kultur ist Teil von Gleichstellung und Diversität: indem sie Vielfalt erlebbar macht und patriarchale, rassistische Sichtweisen hinterfragt und bekämpft.
  • Kultur ist Teil von Wirtschaft: als bedeutender Faktor der Berliner Kreativwirtschaft und des Tourismus. Berlin ist ein international stark beachteter Standort der Kultur- und Kreativwirtschaft, fast 1/3 aller Unternehmen in Berlin werden dem Bereich Kultur-, Kreativwirtschaft, Medien zugerechnet[1] und machen damit einen wesentlichen Teil der Wirtschaftskraft von Berlin aus!
  • Kultur ist Teil von Arbeit: indem Arbeitsplätze geschaffen werden, aber auch im Kampf um faire Vergütung von Kulturschaffenden und ihre soziale Absicherung.
  • Kultur ist Teil der demokratischen Gesellschaft: indem sie zu Toleranz und kritischem Hinterfragen befähigt und Vielfalt lebt.

Die Corona-Pandemie verstärkt im Kulturbereich Probleme, die es schon seit langem gibt: Kultur ist – trotz großer Verbesserungen auf Berliner Landesebene in der laufenden Legislaturperiode – häufig nicht ausreichend finanziert.

Das Fördersystem wie auch ein Großteil der kulturellen Infrastruktur sind nicht auf Ausfall-Szenarien wie die aktuelle Pandemie ausgerichtet.

Die Folgen können nicht aufgefangen werden. Im Gegenteil:

Kultur findet häufig unter so prekären Bedingungen statt, dass jede Krise zur Existenzbedrohung wird.

Jetzt zeigen sich die Konsequenzen aus früheren Spar-Runden und einer bundesweit mangelhaften sozialen Absicherung freien Kulturschaffender. Befristete, niedrig vergütete Arbeitsverhältnisse und der hohe Anteil von Projektförderung lassen keine Rücklagenbildung zu und stellen sich als extrem krisenanfällig heraus.

Der Fokus der politischen Arbeit muss jetzt darauf liegen, Kultur und Kulturförderung zu erhalten und gleichzeitig für die Zukunft krisenfest zu gestalten.

 

1. Künstler*innen und Kulturschaffenden schnell und unbürokratisch helfen, Kulturförderung krisenfest gestalten

Die pandemiebedingten Eindämmungsmaßnahmen haben im Frühjahr vielen Künstler*innen und Kulturschaffenden von einem Tag auf den anderen ihre Arbeitsgrundlage entzogen. Die Schließung aller Veranstaltungsorte macht es ihnen unmöglich ihre Arbeit auszuüben. Viele sind so innerhalb weniger Wochen in eine existentielle Notlage geraten.

Die Soforthilfe II aus Landesmitteln hat schnell und unbürokratisch sehr vielen Kulturschaffenden einen Zuschuss gewährt, konnte aber trotz sehr hoher ausgereichter Mittel nicht allen in Not geratenen Menschen helfen. Zudem war dieser Zuschuss auf drei bzw. sechs Monate ausgelegt und kann die noch lange andauernden Arbeitsein-schränkungen nicht überbrücken.

Das Konjunkturprogramm des Bundes wie auch der erleichterte Zugang zur Grundsicherung gehen an der Lebens- und Arbeitsrealität der Kulturschaffenden vorbei. Solange die Soforthilfe des Bundes Solo-Selbstständige und Inhaber*innen von kleinen Einzelunternehmen nicht berechtigt, bei bestehenden Liquiditätsengpässen auch Lebensunterhaltskosten anzurechnen, wird ein Großteil dieser Menschen leer ausgehen.

Die Linksfraktion fordert entsprechend der am 05. Juni 2020 auf Initiative der Länder Berlin und Bremen beschlossenen Entschließung des Bundesrates, dass die Kriterien der sogenannten „Überbrückungshilfen“ des Bundes an die spezifischen Bedarfe der Kultur- und Kreativbranche angepasst werden und es möglich wird, einen Pauschbetrag als Einkommen zu beantragen.

Kulturförderung

Besonders im Freien Bereich ist Förderung nicht auf Kontinuität und Vorsorge ausgelegt. Es fehlt eine tragende Struktur, die in Krisenzeiten eine sofortige Prekarisierung eines überwiegenden Teils der Künstler*innen und in kunstnahen Berufen arbeitenden Menschen verhindert.

Im Bereich der institutionellen Förderung ist der Handlungsspielraum durch begrenzte Kulturetats und das sogenannte „Omnibus-Prinzip“ begrenzt: bei gleichbleibender Geldmenge können neue Förderungen nur dann aufgenommen werden, wenn bestehende wegfallen oder gekürzt werden. So wird Bestehendes um den Preis der geringen Möglichkeit neue Förderimpulse setzen zu können, abgesichert.

Um die Kulturförderung insgesamt krisenfester und nachhaltiger zu gestalten, schlagen wir vor, das Zuwendungsrecht, die institutionelle Förderung und die Projektförderung, inklusive Förderkriterien, zu überarbeiten, die Rücklagenbildung und zeitlich langfristige Stipendien zu ermöglichen und die Verbandsstrukturen zu stärken.
Förderung muss insgesamt langfristiger, autonomer und weniger projektorientiert gedacht werden, mit dem Ziel kontinuierliches künstlerisches Arbeiten zu ermöglichen und den Produktionsdruck zu verringern.

 

2. Arbeitsbedingungen und soziale Absicherung

In den Kulturinstitutionen und in der Freien Kunst- und Kulturszene existiert eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Beschäftigungsverhältnisse: das Spektrum reicht von der regulären Festanstellung bis hin zu geringfügiger oder auf Produktionsdauer befristeten Beschäftigung mit unterschiedlichen Tarifen und Haustarifverträgen. Ein Großteil der Kulturschaffenden arbeitet frei mit Werk- und Honorarverträgen, selbstständig in Projekten oder wechselt zwischen Selbstständigkeit und Anstellung hin und her. Die meisten Kulturschaffenden erhalten dabei unterdurchschnittlich wenig als Lohn: Jahreseinkommen liegen dabei oft zwischen 8.000 und 17.000 €, wobei Frauen meist deutlich weniger als Männer bekommen.

Der Kultur- und Kreativwirtschaftsbereich zeigt so exemplarisch, was für Solo-Selbstständige und Kleinstunternehmer*innen aller Branchen zutrifft. Berlin hat im bundesweiten Vergleich mit mehr als 200 000 Menschen den höchsten Anteil an Solo-Selbstständigen. Ähnlich hoch ist der Anteil der Menschen die geringfügig beschäftigt arbeiten. Die aktuelle Krise zeigt jetzt ein schon lange bestehendes Problem: die unzureichende soziale Absicherung. Daraus ergeben sich für uns als Linke zwei zentrale Aufgaben:

Vorrangig muss es um eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse von Kunst- und Kulturschaffenden gehen. Dies gelingt zum Beispiel auf Landesebene durch das Hochsetzen von Fördermitteln auf der Basis realistischer Kalkulationen und die Verknüpfung der Ausreichung von Fördermitteln an Empfehlungen zu Honoraruntergrenzen bzw. Mindestvergütungen.

Ergänzend ist ein spartenübergreifendes, langfristiges (Basis-) Stipendienprogramm sinnvoll.

Nur so kann eine private Rücklagenbildung auch im Freien Bereich erreicht werden.

Vielen Kulturschaffenden droht die Altersarmut. Auf Bundesebene müssen die Fragen von Rente und sozialer Absicherung im Bereich der Kultur gelöst werden. Dazu gehört das Problem der Grundrente: diese an und für sich richtige Initiative ist von der Bundesregierung nicht für alle passend umgesetzt worden: Künstler*innen z.B. haben ein zu geringes Einkommen, um am aktuellen Modell teilhaben zu können.

  • Die Linksfraktion mischt sich weiterhin in die Debatten um eine umfassende Reform und Weiterentwicklung der sozialen Sicherungssysteme ein.
  • Die Linksfraktion fordert fair vergütete Arbeitsverhältnisse und eine gute soziale Absicherung von Kulturschaffenden.
  • Branchenspezifische Honoraruntergrenzen müssen bundesweit durchgesetzt werden. Wir fordern den Bund auf, durch Anpassungen in der Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung die soziale Absicherung von Kreativen zu verbessern.

 

3. Kulturelle Infrastruktur erhalten: dezentrale Kultur-Orte und Freiräume stärken

Die Pandemie mit den aus ihr resultierenden Eindämmungsmaßnahmen wird zu einem Verlust von kultureller Infrastruktur führen. Je länger die Maßnahmen aufrechterhalten werden müssen, desto größer werden die Auswirkungen auf Kulturorte sein.

Gerade bei Kultur gilt: was einmal schließt, macht oft nicht wieder auf.

  • Die Linksfraktion setzt sich für den Erhalt der kulturellen Infrastruktur in der Stadt ein. Die Berliner „Soforthilfe IV“-Programme zur Absicherung kleinerer und mittlerer Kulturbetriebe durch Zuschüsse aus Landesmitteln sind hierfür ein wertvolles Instrument. Ein gutes und solidarisches Zusammenleben in der Stadt braucht Freiräume und Kulturorte, wo Menschen sich treffen und gemeinsam etwas erleben können. Das können kleine Clubs ebenso wie Bibliotheken oder Theater sein. Das können in der Corona-Zeit auch Open-Air-Veranstaltungen im öffentlichen Stadtraum sein.

Kulturräume stehen in Berlin, genau wie die soziale Infrastruktur oder Jugend-einrichtungen, unter dem Druck von steigenden Mieten und starken Nutzungs-konkurrenzen. Dies betrifft im Kulturbereich sowohl Präsentations- wie auch Produktionsorte. Ein relevanter Anteil von Fördergeldern geht in Mieten.

  • Die Linksfraktion setzt sich dafür ein, die vorhandenen Kultur-Räume zu erhalten und – durch Umnutzung von Landesliegenschaften, Ankäufe und langfristige Anmietungen – neue Räume zu kulturkompatiblen, bezahlbaren Mietkonditionen dazu zu gewinnen.
  • Wir wollen langfristig mehr Räume in Landeseigentum überführen, um unabhängiger von privaten Eigentümern und Investoren zu werden.
  • Sollte durch die Krise ein Preiseinbruch auf dem Immobilienmarkt stattfinden, fordert die Linksfraktion, dass das Land trotz hoher Schuldenbelastung in den Ankauf von Immobilien investiert.
  • Um auch zukünftig ausreichend Flächen zur Verfügung zu haben, haben wir aktuell einen Bodensicherungsfonds geschaffen.

Der Linksfraktion ist die Stärkung von selbstverwalteten Produktionshäusern und dieFörderung genossenschaftlicher Modelle wichtig. Diese Modelle und Strukturen schaffen Netzwerke und neue, spartenübergreifende Unterstützung. Die Möglichkeit sich selbst zu organisieren, eröffnet neue Handlungsfreiräume und hilft Bürokratie abzubauen und zu vereinfachen.

Kultur darf keine Frage des Wohnorts sein. Wir wollen in der ganzen Stadt Kulturangebote! Spielstätten, Ausstellungsorte, Bibliotheken, Musikschulen und Probe- und Arbeitsräume müssen gesichert, ausgebaut und besser ausgestattet werden. Gerade die dezentralen, kleinen Kulturorte müssen zukünftig gestärkt werden.

Bei Neubau und bei den Überlegungen zur Stärkung von problembehafteten Kiezen und Quartieren müssen immer auch Räume für Kultur und die soziokulturelle Infrastruktur mitgedacht und mitgeplant werden. Die Linksfraktion setzt sich für die Kooperation mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften und für eine Quote für Kultur-infrastruktur bei Neubau ein. Gerade die Entwicklung der neuen Stadtquartiere bietet die Chance, soziales Wohnen im Sinne von Kiezen mit Begegnungsstätten, öffentlichen Treffpunkten und soziokulturellen Angeboten zu etablieren. Parallel kann der gleiche Ansatz im Kontext der Schulbau-Offensive im Sinne von modernen Kombibauten, die sich in den Stadtraum öffnen, verfolgt werden. Die Schulbau Offensive bietet so Möglichkeiten, Kulturräume zu schaffen und Kultur und Bildung enger zu verbinden.

Die Linksfraktion will, dass Berlin auf Bundesebene für einen „Gewerbe-Mietendeckel“ kämpft, um die explosionsartig steigenden Gewerbemieten und die daraus folgende Verdrängung von kleinen und mittleren Gewerbebetrieben, Kultureinrichtungen und Künstler*innen zu stoppen. Wir setzen uns für den Erhalt der „Berliner Mischung“ und damit lebendige, vielfältige Kieze ein.

 

4. Digitalisierung

Die krisenbedingte und spartenübergreifende Verschiebung künstlerischer Produktion ins Digitale gibt der bisher noch zu zögerlichen Digitalisierung im Kulturbereich aktuell einen enormen Schub.

Um das Potential, das in digitalen Angeboten liegen kann, langfristig zu nutzen, schlägt die Linksfraktion vor, private und öffentliche Kultureinrichtungen zukünftig stärker bei ihren Digitalisierungsprojekten und -strategien zu unterstützen und entsprechende Angebote, wie sie in Berlin etwa das „kulturBdigital“-Projekt zur Digitalen Entwicklung des Kulturbereichs in Berlin macht, weiter auszubauen. Diese Unterstützung muss die Anschaffung neuer Geräte oder betriebswirtschaftliche und juristische Schulung im Umgang mit digitalen Urheberrechten, Zahlungsmethoden und Haftungsklauseln umfassen, aber auch das notwendige Personal ermöglichen.

Wenn verstärkt digitale Formate angeboten werden, muss überlegt werden, wie und wo das passiert. Wollen Kultureinrichtungen ihre digitalen Angebote bei kommerziellen Drittanbietern zur Verfügung stellen, sie auf den eigenen Seiten zum Download oder Stream anbieten oder kann eine gemeinwohlorientierte, nicht-kommerzielle Kultur-Plattform etabliert werden – z.B. in Kooperation mit den öffentlich-rechtlichen Sendern, die auch regional mehr in die Pflicht genommen werden sollten? Was kann kostenfrei und was über Bezahlformate angeboten werden?

Digitalangebote im Kulturbereich müssen von Anfang an und gerade im Bereich der Darstellenden Künste und der Musik nicht als Ersatz oder Kopie von Live-Erlebnissen verstanden werden, sondern als Ergänzungund Erweiterung künstlerischer Produktionsformate.

  • Die Linksfraktion fordert, die Vernetzung und die gemeinschaftliche Nutzung von Ressourcen der digitalen Infrastruktur und Technik durch die Nutzung von Open Source-Programmen zu unterstützen. So kann eine Unabhängigkeit von kommerziellen Anbietern erreicht werden und es werden neue Formen der Kommunikation, Partizipation, Bildung und Vermittlung möglich.

 

5.Teilhabe

Kultur ist vielfältig. Ihre Angebote reichen von der Oper bis zum Hiphop-Konzert, vom Comic über Lesebühnen bis zum Poesiefestival, vom Karneval der Kulturen über den Laienchor bis zur Musikschulaufführung, vom Tanztheater zum Club – die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Genauso vielfältig wie die Kultur ist ihr Publikum. Es umfasst alle Generationen und kulturellen Hintergründe.

Wir wollen möglichst vielen Menschen unserer Stadt die Teilhabe an kulturellen Angeboten jeder Art ermöglichen. Voraussetzung dafür ist, zu verstehen, wer die vorhandenen Kulturangebote nutzt und wer nicht.

Die Linksfraktion setzt sich dafür ein, dass Hindernisse bei der Nutzung von kulturellen Angeboten abgebaut und neuen Publikumsgruppen den Zugang zu Kultur erleichtert wird.

Um Kultur nutzen zu können, muss Kultur erreichbar sein. Ein gut ausgebauter und bezahlbarer Öffentlicher Nahverkehr ist dafür eine Voraussetzung. Menschen brauchen dezentrale und wohnortnahe kulturelle Angebote, sie brauchen Angebote, die das Leben in ihren Kiezen bereichern – insbesondere diejenigen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nur eingeschränkt mobil sind – Kinder, Senior*innen oder Menschen mit Behinderung. Um ein breites Angebot niedrigschwelliger Kulturangebote in allen Bezirken zu erreichen, ist es wichtig, auch die Infrastruktur von Schulen, Stadteilzentren, Jugendzentren, Nachbarschaftshäusern und Begegnungszentren Dritter (z.B. von landeseigenen Wohnungsunternehmen, Theatern, Kinos oder Kirchen) mitzudenken. Kulturelle Teilhabe in einem breiten Verständnis fördert so gesellschaftlichen Zusammenhalt und trägt zu funktionierenden Quartieren bei.

Wenn in unserer dichter werdenden Stadt frei zugänglicher öffentlicher Raum knapper wird, brauchen Menschen Orte, an denen sie sich aufhalten können, sich begegnen können, an denen sie die Vielfalt unserer Stadt erfahren können, niedrigschwellig, geschützt und frei von Konsumzwang – sogenannte Dritte Orte. Bibliotheken eignen sich hierfür besonders.

Die Linksfraktion fordert, stadtweit Bibliotheken als Dritte Orte auszubauen und so

Foren für stadtgesellschaftliche Diskurse und ganz unterschiedliche Formen des Arbeitens, Lernens und der gemeinschaftlichen Freizeitgestaltung zu etablieren. Der Neubau der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) ist hierbei zentral und muss in den kommenden Jahren zielstrebig vorangetrieben werden! Der Architekturwettbewerb für die ZLB soll im Jahr 2021 entschieden sein.

Menschen brauchen diese Begegnungs- und Kommunikationsorte und Soziokulturelle Zentren. Das hat die Schließung dieser Räume in der Corona-Krise gezeigt.

Wenn Innenräume aufgrund der Krise für einen längeren Zeitraum nur beschränkt nutzbar sind, müssen wir uns die Stadt insgesamt neu erschließen. Plätze, Grünanlagen, Brachen und Freiflächen können Draußenorte der Begegnung in Kiezen sein, wenn hier soziokulturelle Projekte Lern-, Aktions- und Erlebnisorte schaffen und so gemeinschafts-stiftend wirken, indem sie die Menschen vor Ort zusammenbringen. Die Linksfraktion begrüßt daher ausdrücklich die „Draußenstadt“-Initiative der Senatsverwaltung für Kultur und Europa und des Rats für die Künste.

Die Linksfraktion fordert, dass Kultur allen Menschen offensteht und Vielfalt sich sowohl in den kulturellen Angeboten als auch bei ihren Nutzer*innen wiederfindet. Künstler*innen und ihr Publikum müssen sich gleichgestellt und divers finden, auf der Bühne, in Kulturorten wie im Leben!

 

6. Strukturelle Rahmenbedingen verbessern

Um die strukturellen Rahmenbedingungen von Kultur und Kulturförderung zu stärken, schlägt die Linksfraktion vor, Kultur als Pflichtaufgabe auf Landesebene und in den Bezirken zu verankern.

  • Aus den Ergebnissen der Bibliotheksentwicklungsplanung soll ein Bibliotheksgesetz entwickelt werden.

Die Linksfraktion schlägt vor, dass dezentrale Kulturangebote, die Entwicklung der kulturellen Einrichtungen der Bezirke (Musikschulen, Jugendkunstschulen, Museen, Galerien) in bezirklichen Kulturentwicklungsplänen konzipiert und gemeinsam mit der Senatskulturverwaltung durch Zielvereinbarungen untersetzt werden sollen. Dabei sollen für die bezirkliche Kultur in Abhängigkeit von Bevölkerungszahl und -zusammensetzung Mindest-Standards festlegt werden.

Kultur muss in den Bezirken entlang von den zu entwickelnden Mindest-Standards zu einer festen Planungsgröße gemacht und auch entsprechend finanziert werden.

Für die wachsende Stadt Berlin werden - neben Wohnkonzepten - Konzepte zur Bereitstellung der notwendigen öffentlichen sozialen und grünen Infrastruktur benötigt. Die Berliner Bezirke erarbeiten dafür räumlich integrierte Soziale Infrastruktur-Konzepte (SIKo).

Die Linksfraktion fordert, Kultur als verbindlichen Bestandteil bei der bezirklichen Fortschreibung der Sozialen Infrastruktur-Konzepte (SIKos) festzulegen.


[1]  https://www.creative-city-berlin.de/de/das-wichtigste-im-ueberblick/zahlen-fakten/ Im Jahr 2017 zählten in Berlin 39.900 umsatzsteuerpflichtige Unternehmen zum Cluster IKT, Medien, Kreativwirtschaft. Der Umsatz betrug rund 38 Mrd. Euro. Mit 215.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und einem hohen Anteil an freien und geringfügig Beschäftigten stellt das Cluster im Jahr 2018 einen relevanten Arbeitsmarktfaktor in Berlin dar. Rechnet man die selbständigen Beschäftigten hinzu, kann von 332.000 Erwerbstätigen ausgegangen werden. In der gesamten Berliner Wirtschaft waren 2017 fast 155.000 steuerpflichtige Unternehmen angesiedelt, die einen Umsatz von rund 229 Mrd. Euro erwirtschaftet haben. Das Cluster stellt damit 25,7 Prozent aller Berliner Unternehmen und erbrachte einen Umsatzanteil von 16,6 Prozent.