Einbürgerung beschleunigen - Teilhabe stärken
"Einbürgerungen erleichtern das Leben der Betroffenen ungemein und daher kann es nicht sein, das Menschen, die einen Anspruch darauf haben, durch lange Bearbeitungsdauern um ihre Rechte gebracht werden. Das Landeseinbürgerungszentrum muss neben der Digitalisierung auch diskriminierungssensibel aufgestellt sein und über ausreichend migrationsgesellschaftliche Kompetenz verfügen. Das heisst auch, dass die Beschäftigten die Vielfalt Berlins abbilden müssen." sagt Elif Eralp in der Aktuellen Stunde.
22. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses am 1.12.2022
Aktuelle Stunde: "Berlin geht voran: Einbürgerung beschleunigen – Teilhabe stärken"
Elif Eralp (LINKE):
Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema unserer Aktuellen Stunde heute heißt: „Berlin geht voran: Einbürgerung beschleunigen – Teilhabe stärken“, und es ist gut, dass wir heute zu diesem Thema sprechen und damit einen Kontrapunkt zu der aktuell zum Staatsangehörigkeitsrecht, aber auch zur Fluchtsituation geführten Debatte auf Bundesebene setzen, die von rechten, konservativen, aber auch leider von vermeintlich liberalen Kräften so geführt wird – ja, das ist so –, dass rassistische Erzählungen bestärkt werden und Solidarität in der Gesellschaft, die gerade jetzt, in Krisenzeiten, so bitter nötig ist, geschwächt wird.
Die deutsche Staatsbürgerschaft ist der Türöffner für Teilhabe und eine Reihe von Rechten, wie Bleiberecht, Freizügigkeit in der EU, Zugang zum Beamtenstatus, konsularischer Schutz im Ausland. Einige Grundrechte wie die Berufs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden unmittelbar nur deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern per Grundgesetz zugesprochen. Diese wollen wir als Linke übrigens schon lange in Menschenrechte umwandeln. Noch gehört das Recht zu wählen und gewählt zu werden dazu, aber dazu später.
Einbürgerungen erleichtern das Leben der Betroffenen ungemein. Daher kann es nicht sein, dass Menschen, die einen Anspruch darauf haben, durch lange Bearbeitungsdauern um ihre Rechte gebracht werden.
Anspruchseinbürgerungen sind, anders als Ermessenseinbürgerungen, bei denen die Innenverwaltung entscheidet, Bezirksangelegenheit, und Antragstellende sind mit völlig unterschiedlichen Bearbeitungsdauern von vier Monaten bis zu zwei Jahren konfrontiert. Zum Teil müssen Berlinerinnen und Berliner bis zu einem Jahr warten, allein, um einen Vorsprachetermin zu erhalten. Daher arbeitet die Koalition aktuell mit Hochdruck daran, die Einbürgerungen in einem Landeseinbürgerungszentrum zu zentralisieren, alle Entscheidungskompetenzen unter einem Dach zu versammeln und so die Verfahren zu beschleunigen. Das Vorhaben hat für die Koalition hohe Priorität, weswegen wir im aktuellen Doppelhaushalt dafür Mittel für 120 neue Stellen vorgesehen haben.
Als Linke hätten wir uns auch vorstellen können, das neue Einbürgerungszentrum bei der Partizipationsbeauftragten Berlins anzusiedeln, wo auch das Willkommenszentrum eingerichtet ist, das Geflüchtete und Menschen mit Migrationsgeschichte im Sinne der Betroffenen berät. Aber jetzt, wo feststeht, dass es zum Landeseinwanderungsamt gehören wird, muss es darum gehen, dass auch die Voraussetzungen für eine Beschleunigung geschaffen werden. Wichtig dafür ist, dass das Landeseinwanderungsamt seine Kernaufgaben erfüllt und Menschen mit eiligen Anliegen, wie auslaufenden Wohnungs- und Jobangeboten, auch zeitnah einen Termin zur Aufenthaltsverlängerung bekommen und nicht monatelang darauf warten müssen, bis das Angebot weg ist.
Das LEZ muss neben der Digitalisierung auch diskriminierungssensibel aufgestellt sein und über ausreichend migrationsgesellschaftliche Kompetenz verfügen. Das heißt auch, dass die Beschäftigten die Vielfalt Berlins abbilden müssen. Das ist auch deswegen so wichtig, weil wir im Koalitionsvertrag vorgesehen haben, dass proaktiv in Communitys, Gesellschaft und Medien hineinkommuniziert werden soll. Wir haben auch verabredet, dass wir landesrechtliche Spielräume im Sinne der Betroffenen weit ausschöpfen. Beispielsweise sollen bei Sprachkenntnissen und der Sicherung des Lebensunterhalts individuelle Lagen stärker berücksichtigt und Ausnahmen zugelassen werden. Dieser Punkt war uns als Linke besonders wichtig, denn an den Einkommenshürden scheitert es leider oft.
Auch stand im Koalitionsvertrag unser Einsatz auf Bundesebene für die Hinnahme von Mehrstaatlichkeit. Ich bin sehr froh, dass sich die Ampelkoalition, die Bundesregierung, nun an die Umsetzung ihres Koalitionsversprechens macht und Hürden abbauen möchte, unter anderem durch Hinnahme von Mehrstaatlichkeit, Verkürzung der nötigen Aufenthaltsdauer auch der Eltern für ihre in Deutschland geborenen Kinder sowie durch Erleichterung bei Sprachhürden und Verzicht auf Einbürgerungstests bei über 67-Jährigen. Das ist zwingend nötig, denn die Einbürgerungszahlen stagnieren seit Jahren auf geringem Niveau, und Deutschland liegt weit unter dem europäischen Durchschnitt noch hinter Ungarn. Wichtig für mehr Chancen zur Einbürgerung wäre aber auch der Verzicht auf Einkommensvoraussetzungen und die Absenkung der Gebühren, denn die Einbürgerung sollte nicht vom Geldbeutel abhängen.
Auch die zu Recht von vielen als entwürdigend empfunden Einbürgerungstests sollten gänzlich entfallen. EU-Länder, die besonders hohe Einbürgerungsquoten aufweisen, verzichten darauf.
Statt aber, dass eine Debatte über notwendige Verbesserungen am Ampelentwurf geführt wird, scheint sich die FDP vom Regierungsvorhaben zu verabschieden und nun in den im Zusammenhang mit aktuellen Fluchtbewegungen losgetretenen menschenverachtenden Migrationsdiskurs einzusteigen. Der FDP-Generalsekretär spricht von einer „Entwertung der deutschen Staatsbürgerschaft“ und übernimmt damit das Wording von CDU und AfD, der Staatsbürgerschaft als Ramschware. Außerdem sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, weil es keine Fortschritte bei der Rückführung gegeben hätte.
Es geht hier verdammt noch mal um Menschen, die hier seit Jahren leben, arbeiten, sich engagieren und als sogenannte Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter dieses Land mit aufgebaut haben, und hier geborene Kinder.
Wann sollte die Bundesrepublik denn nach Meinung der FDP endlich im 21. Jahrhundert ankommen und anerkennen, dass diese Menschen ein wichtiger Teil der Gesellschaft sind?
Das Einbürgerungspotenzial ist hoch. Weit über 10 Millionen Menschen leben hier ohne deutschen Pass und über die Hälfte davon seit über zehn Jahren. By the way wird Mehrfachstaatlichkeit schon seit Jahren in weit über der Hälfte der Fälle hingenommen, aber Sie verbreiten hier weiter Fake News. Der FDP-Bundestagsfraktionsvorsitzende spricht à la Friedrich Merz gar von der Einwanderung in Sozialsysteme. Es ist schäbig, dass Sie sich nun zur Speerspitze der Hetze machen.
Das stärkt nur die AfD, und dafür sollten Sie sich als eine vermeintlich liberale Partei schämen, genauso wie Sie als eine Partei mit dem C im Namen. – Ja, das müssen Sie jetzt ertragen.
Da wir heute über Teilhabepolitik sprechen, möchte ich noch auf wichtige Alleinstellungsmerkmale Berlins eingehen. Wir werden heute noch zur Volksinitiative „Demokratie für alle!“ und damit zum Wahlrecht für alle debattieren, und es ist wichtig, dieses Thema aktuell aufzurufen, denn jetzt im Kontext anstehender Wahlen müssen wir darüber sprechen, dass 22 Prozent der Berlinerinnen und Berliner nicht wählen dürfen und damit, wie die Sprecherin der Initiative in der Anhörung letzte Woche sagte, zu Bürgerinnen und Bürgern zweiter Klasse gemacht werden. Das ist abgekoppelt davon, wichtige Einbürgerungserleichterungen anzugehen, denn wer hier lebt und von Gesetzen und Regierungshandeln betroffen ist, muss hier auch mitentscheiden dürfen. Daher bin ich sehr froh über unseren Koalitionsantrag.
Teilhabe wollen wir auch beim öffentlichen Dienst erreichen. Daher wurde schon 2010 unter Rot-Rot das Partizipationsgesetz erlassen und in der letzten Legislatur novelliert. Aktuell hat die Integrationssenatorin Katja Kipping die Umsetzung dieses Gesetzes, das die Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte im öffentlichen Dienst voranbringen und ihn zum Abbild der Vielfalt der Bevölkerung machen will, zur Chefinnensache erklärt. Mit diesem Gesetz ist Berlin Vorreiter, genauso wie übrigens mit dem Landesdiskriminierungsgesetz, das wir schon in der letzten Legislatur beschlossen haben und wo wir im Bund leider immer noch auf eine Anpassung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes warten und dort leider die Umsetzung der Forderung aller Antidiskriminierungsverbände, anders als in Berlin, nicht geplant scheint, behördliches Handeln zu umfassen, obwohl auch Bundesbehörden leider diskriminieren.
Wenn ich schon bei der Diskriminierung bin, die der gleichberechtigten Teilhabe immer entgegensteht, muss ich auch sagen, dass wir doch alle wissen, dass Roma zu einer der stärksten von Diskriminierung betroffenen Minderheiten gehören, auch in Moldau, und da ist es doch unsere Pflicht, wie im Koalitionsvertrag übrigens verabredet, alle Möglichkeiten für ein Bleiberecht auszuschöpfen und Geflüchtetengruppen nicht gegeneinander auszuspielen.
Nun, am Ende meiner Rede angelangt, möchte ich Sie fragen: Warum erkennt der Berliner Koalitionsvertrag die Einkommenshürden bei der Einbürgerung als Problem und die Ampel nicht? Warum verliert die Ampel kein Wort über das Wahlrecht für alle in ihrem Koalitionsvertrag, während Berlin sich für eine Ausweitung im Bund einsetzt und über ein Rechtsgutachten sogar nach landesrechtlichen Wegen sucht? Warum erwähnt der Ampelvertrag ein Bundespartizipationsgesetz, aber nach über einem Jahr liegt nicht einmal ein Eckpunktepapier dazu vor, während in Berlin ein solches längst gilt und noch verbessert wird? Warum haben wir ein Landesantidiskriminierungsgesetz, das wir 2024 sogar evaluieren und verbessern wollen, während die Ampel nicht zu Potte kommt bei der dringend nötigen AGG-Reform? – Also: Wo ist der Unterschied zwischen der Koalition auf Bundesebene und der Berliner Koalition? – Der Unterschied sind wir, die Berliner Linke. Lassen Sie uns daher weiter gemeinsam für ein Berlin der gleichen Rechte streiten. – Danke!
[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN –
Vereinzelter Beifall bei der SPD –
Torsten Schneider (SPD): Ja, machen wir!]