Individuelle Perspektiven in der beruflichen Bildung

Franziska Brychcy

32. Sitzung, 18. Oktober 2018

Franziska Brychcy (LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit Ihren Anträgen zu beruflichen Schulen in Berlin zeigen Sie als AfD vor allem, dass Sie alte Positionspapiere der IHK wortwörtlich kopieren und neoliberale Politikansätze zur besseren „Verwertung“ von jungen Menschen auf dem Ausbildungsmarkt vorschlagen. Um eine individuell passende berufliche Perspektive für die Schüler-Sternchen-innen scheint es Ihnen jedenfalls nicht zu gehen.

Erster Punkt, Landesinstitut für berufliche Bildung: Berlin ist nicht Hamburg. Nicht alles, was in Hamburg gut funktioniert, funktioniert gleichermaßen in Berlin, weil wir – in diesem Fall, leider – ganz unterschiedliche Voraussetzungen haben, aber dazu komme ich gleich noch. Der Berliner Senat hat sich dafür entschieden, eine eigene Abteilung für berufliche Bildung bei der Bildungsverwaltung einzurichten, Ressourcen und Kompetenzen zu bündeln und den Bereich berufliche Bildung strukturell und personell deutlich zu stärken, insbesondere was die Schulaufsicht und Qualitätssicherung angeht. Das ist auch bitter nötig angesichts des Wildwuchses der privaten beruflichen Schulen in Berlin.

 

Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tabor?

Franziska Brychcy (LINKE):

Nein, danke! – Man kann und muss kritisieren, dass die Abstimmung der Akteure in der beruflichen Bildung nicht immer optimal verläuft und durchaus verbessert werden kann. Aber die Gründung eines Landesinstituts erscheint nicht sinnvoll, zumal mit der Sonderkommission „Ausbildung“ beim Regierenden Bürgermeister alle relevanten Akteure, selbstverständlich auch die Wirtschafts- und Sozialpartner, eingebunden sind und sich gemeinsam konkrete Ziele setzen, zum Beispiel zu den Themen Praktikumsqualität, Digitalisierung oder die Integration Geflüchteter in Ausbildung.

Zweitens, die Weiterentwicklung der beruflichen Schulen ist ein gemeinsamer Prozess von OSZs, Sozialpartnern und Verwaltung. Dass die Aufstellung eines Schulentwicklungsplans für OSZs nur auf der Basis von prognostizierten Schüler-Sternchen-innenzahlen, aber nicht auf einer branchenspezifischen Analyse, wie sich der Bedarf an Ausbildungsberufen künftig verändern wird, erfolgt ist, lag an der fehlenden Zuarbeit der Kammern. Nun die fehlende Beteiligung der Wirtschaft zu beklagen, ist absurd.

Drittens: vollzeitschulische Bildungsgänge abschaffen. Jetzt komme ich zu Hamburg: Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit kommen auf 100 Ausbildungsplätze in Hamburg 90 Bewerber-Sternchen-innen. In Berlin sind es 142. Damit haben junge Menschen bei uns bundesweit die schlechtesten Chancen, einen dualen Ausbildungsplatz zu erhalten. In Hamburg gibt es 11 000 betriebliche Ausbildungsstellen für 9 000 Bewerber-Sternchen-innen, bei uns in Berlin gibt es 15 000 betriebliche Ausbildungsstellen gegenüber 21 000 Bewerber-Sternchen-innen. Jetzt stellen Sie von der AfD die Forderung auf, vollzeitschulische Ausbildungsgänge zu streichen. Wir sind froh, dass wir sie haben, denn die betrieblichen Ausbildungsplätze reichen nicht aus. Es ist auch keine gute Strategie, junge Menschen in die duale Ausbildung zwingen zu wollen, indem man andere Bildungswege kurzerhand abschafft. Vielmehr müssen sich Betriebe und Kammern Gedanken machen, wie man die Ausbildung für junge Leute attraktiver machen kann. Es gibt hervorragende Beispiel von Betrieben, die mit dem Siegel „Exzellente Ausbildungsqualität“ jedes Jahr geehrt werden. Dass Branchen mit schwierigen Ausbildungsbedingungen und vergleichsweise mickriger Vergütung, wie Hotel und Gaststättengewerbe, Lebensmittelhandel oder die Bauberufe, Schwierigkeiten haben, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen, ist logisch. Deswegen schulische Ausbildungsgänge zu streichen, weil es die Arbeitgeber-Sternchen-innen gern so hätten, ist Irrsinn. Es gibt renommierte OSZs – Lise-Meitner, Elinor Ostrom –, die hervorragende vollschulische Bildungsgänge anbieten. Gerade für Schüler und Schülerinnen ohne Schulabschluss oder mit Förderbedarf bieten OSZs Perspektiven, die sie nur in wenigen Betrieben erhalten. In Ihrem Antrag steht kein einziges Wort von der Stärkung von Schulsozialarbeit, Inklusion von Schüler-Sternchen-innen mit Handicap oder von Integration Geflüchteter. Aber es hätte mich auch gewundert, wenn es so gewesen wäre.

Bezüglich der Werbung zur dualen Ausbildung haben Sie vielleicht die neue Ausbildungsinitiative „#seiDUAL“ unter Schirmherrschaft des Regierenden Bürgermeisters zur Kenntnis genommen, Berufs- und Studienorientierung, im kommenden Jahr haben wir den Talentecheck, der in den 8. Klasse an den Start gehen wird – übrigens ein Gemeinschaftsprojekt von IHK, Regionaldirektion und Bildungsverwaltung.

Zur Digitalisierung: Anstatt hier die IHK-Forderung zu postulieren, sollten Sie sich ein Beispiel an der hartnäckigen Oppositionsarbeit der FDP nehmen, die die eklatant schlechte Breitbandanbindung der OSZs öffentlich gemacht hat. Hier muss schnell für die OSZs Abhilfe geschaffen werden, daran wird sich diese Koalition messen lassen müssen.

Wir als Linke werden diesen Anträgen nicht zustimmen. Wir wollen nicht einfach die IHK-Position übernehmen, weil uns die persönliche Entwicklungsperspektive der jungen Menschen wichtig ist. Da haben wir noch viel zu tun, egal ob Senat, Betriebe, OSZs, dass wir diesen Anspruch auch umsetzen werden. – Danke!

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