Koalition stärkt frühkindliche Bildung und wertet Erzieher*innenberuf auf

27. Sitzung, 31. Mai 2018

Katrin Seidel (LINKE):

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Präsident! Man kann es gar nicht oft genug sagen, denn es war tatsächlich ein Novum. Am vergangenen Samstag demonstrierten um die dreieinhalbtausend Eltern für gute Kitaplätze und eine bessere Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher. Sie forderten aber vor allem, endlich von der Politik gehört zu werden. Die Eltern, das sind die, die verzweifelt einen Platz suchen, aber auch jene, deren Kinder bereits versorgt sind. Beide Elterngruppen treibt dieselbe Sorge um. Was hier als Kitakrise beschrieben worden ist, das sind vor allem die Notlagen in den betroffenen Familien, die sich in echten Krisen befinden, weil ohne Kitaplatz das familiäre Einkommen fehlt, berufliches Vorwärtskommen, insbesondere der Mütter, infrage gestellt ist und die Bildungschancen der Kinder betroffen sind. Darauf aufmerksam zu machen, ist den Aktivisten eindrucksvoll gelungen. Wir als Linke danken für dieses Engagement und den Weckruf an alle in der Politik. Wir hoffen, dass dieser Weckruf endlich auch bis in die letzten Amtsstuben vorgedrungen ist.

Viel zu lange hat der Kitaausbau in der Stadt auf dem Rücken der Erzieherinnen und Erzieher in den Berliner Kitas stattgefunden. Das stößt jetzt an seine Grenzen. Für die lange erduldete Situation großer Dank an die pädagogischen Fachkräfte, die im Interesse der ihnen anvertrauten Jüngsten so lange ausgehalten haben!

Ihre Geduld ist viel zu lange fälschlicherweise als Zeichen gedeutet worden, dass alles noch halbwegs in Ordnung ist. Das ist aber vorbei. Der Mangel an Kitaplätzen ist Fakt. Die Zahl der genehmigten Plätze ist fast identisch mit der Zahl der ausgegebenen Kitagutscheine, und wer glaubt, dass sich die Lage entspannt, weil bald die großen Kitakinder in die Schule wechseln, der irrt sich. Es wird schon knapp, die Geschwisterkinder zu versorgen. Angebot und Nachfrage stehen in einem deutlichen Missverhältnis. Die Zahlen kann man nachlesen. Das ist bekannt.

Aber es ist auch schwer, den wirklichen Fehlbedarf zu beziffern. Die vielen Wartelisten in Kitas, bei Trägern und in den Jugendämtern, das Auseinanderklaffen von zugesagten Plätzen, die nur noch nicht vertraglich gebunden sind, und den tatsächlich noch Suchenden sowie die noch ungewisse Zahl der Rückstellungen machen es schwer, den Überblick zu behalten. Auch das ist ein Teil des Problems. Das Land hat enorme Anstrengungen zum Kitaausbau unternommen – auch mit Hilfe des Bundes. 170 000 Plätze sind derzeit belegt, doch eine erhebliche Zahl von neu geschaffenen Plätzen kann wegen des Erziehermangels nicht belegt werden. Das behindert – neben den fehlenden Flächen – auch den nötigen weiteren quantitativen Kitaausbau. Der Fachkräftemangel ist in vielerlei Hinsicht zum Risiko geworden. Gerichte entscheiden leider, was die Politik nicht zu regeln vermag. Die wachsende Klagebereitschaft der Eltern ist Ausdruck der Verzweiflung, und was zunächst als Ärgernis daherkommt, hilft doch auch. Es hilft, Prioritäten zu setzen – auch für die Eltern, die nicht so fit sind und gleich zum Anwalt gehen. Das sind vor allem die, die wir unbedingt erreichen wollen, um der Armut zu begegnen, Benachteiligungen abzuwenden und Chancengleichheit herzustellen, auch wenn es um Integration und Inklusion geht.

Mit dem Kitaausbau wurde daher parallel alles unternommen, um den Zugang zu Kita und Tagespflege zu erleichtern. Wir haben den Rechtsanspruch ausgebaut, und die Kita ist bald beitragsfrei. Die jüngste Kitastudie belegt, dass Berliner Eltern bundesweit die geringste Belastung aus Kitabeiträgen haben. Wir haben auch erheblich in die Qualität investiert, weil der Kitaausbau nur Sinn hat, wenn es gute Kitaplätze sind. Die Erzieher-Kind-Relation wurde verbessert, die Leitungsfreistellung ausgebaut, die Rahmenverhandlung Tagesbetreuung wurde Ende Dezember abgeschlossen, und es passiert der Einstieg in den Ausstieg aus dem Eigenanteil.

Das wird in der Kitalandschaft auch durchaus honoriert, aber so richtig feiern können wir das alles nicht. Das Problem ist eigentlich ein schönes: Wachsende Geburtenzahlen, Zuzug, und die Kita wird in Berlin anerkannt und akzeptiert – zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf und als Bildungseinrichtung! Die Nachfrage steigt, doch der Ausbau stockt, weil die pädagogischen Fachkräfte fehlen. Dabei wurden die Ausbildungskapazitäten fast verdoppelt und das Schulgeld abgeschafft.

Was wir übrigens nicht wollen, ist, die Qualitätsanforderungen abzusenken. Das wäre falsch.

Mit der Forcierung des Quereinstiegs wurden bereits Einschnitte ermöglicht, die uns nicht leicht gefallen sind. Aber sie waren richtig und wichtig. Die Arbeiterwohlfahrt hat in einem Positionspapier geschrieben: Nicht für 170 000 Kinder die Qualität dauerhaft verschlechtern, um 3 000 Kinder zusätzlich zu versorgen! – Das klingt hart, ist aber richtig. Die Frage muss daher lauten: Wie kriegen wir die 3 000 und weitere Kinder betreut, ohne an der Qualität zu drehen? – Gemeinsam statt einsam, das ist unser Plan. Schluss mit den gegenseitigen Schuldzuweisungen! Alle Vorschläge sollen auf den Tisch. Wir brauchen vor allem kurzfristige Lösungen. Schnell realisierbar wäre es z. B., die Tagespflege auszubauen. Ausgebildete Tagespflegemütter und -väter stehen bereit und könnten sofort loslegen, wenn es denn die entsprechenden Räume gäbe. Da müssen wir gemeinsam mit den Wohnungsbaugesellschaften und auch privaten Bauinvestoren Wege finden. Das gehört u. a. ganz oben auf den Zettel.

Aber das zentrale, das gravierendste Problem bei der Sicherung des Personalbestandes und der Gewinnung von Nachwuchs ist und bleibt einfach die schlechte Bezahlung. Das haben zum Glück alle schon gemerkt. Dazu die geringe gesellschaftliche Anerkennung und der Mangel an beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten, die im Missverhältnis stehen zu hoher, auch körperlicher Belastung, wachsenden Anforderungen und Erwartungen und größerer Verantwortung! Die Aufgaben einer Erzieherin haben sich deutlich gewandelt. Kita ist frühkindliche Bildung, Inklusion, Integration, Elternarbeit, Sprachförderung und Vernetzung im Sozialraum, doch die tarifliche Eingruppierung und Bezahlung entspricht dem in keinster Weise. Die Schere zur Bezahlung in anderen pädagogischen Berufen hat sich wieder geweitet – z. B. an der Schule. Eine Erzieherin im Ganztag verdient mittlerweile nicht einmal die Hälfte dessen, was eine Lehrer oder eine Lehrerin als Berufseinstieg verdient. Kollegin Kühnemann hat schon darauf hingewiesen. Wie soll da u. a. eine Arbeit auf Augenhöhe gelingen?

Nicht zu vergessen: Bei allen Bemühungen, mehr Männer für den Beruf zu gewinnen, ist der Erzieherberuf ein Frauenberuf. Bei der gegenwärtigen Bezahlung in Kita und Hort wissen wir alle, was das nach 40 oder mehr Arbeitsjahren an Rente bringt. Das ist wahrlich nicht attraktiv.

Unser Antrag erteilt den politischen Auftrag, im Tarifvertrag der Länder, der im Frühjahr 2019 wieder verhandelt wird, endlich eine neue Eingruppierung durchzusetzen und die Tariflücke zum TVöD zu schließen. Die Vorbereitungen laufen jetzt an, und sofort müssen alle Möglichkeiten ausgelotet werden, die der TV-L schon jetzt bietet. Nicht mehr erklären, was nicht geht, sondern etwas möglich machen! An anderer Stelle geht das auch.

Schauen wir uns jetzt noch den CDU-Antrag an: Der Antrag ist ja nicht so innovativ und enthält nur das, was der Senat sowieso bereits umsetzt bzw. was auf den Vorschlagslisten der Bezirke steht. Aber danke, dass Sie das alles noch mal so schön zusammengetragen haben! Sehr gut, dass Sie auch für eine bessere Bezahlung der Erzieherinnen streiten wollen! Gleichwohl geht unser Antrag da weiter, weil er darauf drängt, auch kurzfristige Lösungen zu finden.

Was die CDU tatsächlich tun könnte, das wäre, sich auf Bundesebene für spürbaren Rückenwind beim Kitaausbau einzusetzen und die Ankündigung von Bundesministerin Giffey zu unterstützen – und das nicht nur beim quantitativen Ausbau, sondern auch bei der Qualitätsentwicklung. Setzen Sie das um, was Sie in Ihrem Koalitionsvertrag im Bund versprochen haben! Da werden allerdings die angekündigten 3,5 Milliarden Euro nicht ausreichen.

Auf Initiative Berlins haben die Jugend- und Familienminister der Länder gerade beschlossen, für eine Fachkräfteoffensive mehr Bundesgeld zu fordern. An dieser Stelle auch von meiner Seite herzlichen Dank an Senatorin Scheeres, auch für ihr bundespolitisches Engagement im Bundesrat und in der Jugend- und Familienministerkonferenz! Die Anerkennung der Erzieherinnen und Erzieher als Mangelberuf ist längst überfällig, auch wenn die Bundesregierung das immer noch nicht will. Da sind wir diejenigen, die das als einzige fordern.

Die Lösung, die der Senat mit der Regionaldirektion der Agentur für Arbeit hierbei gefunden hat, wonach die Erzieherausbildung als Umschulung gefördert wird, ist gut, aber noch ausbaufähig. Für das dritte Ausbildungsjahr muss der Träger den Lebensunterhalt finanzieren. Die Träger sind eh schon massiv belastet. Wir setzen uns dafür ein, dass auch im dritten Ausbildungsjahr diese Kosten übernommen werden und es für ältere Berufseinsteiger eine Art Aufstiegs-BAföG gibt. So steht es auch im Beschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz. Der sieht übrigens auch vor, die Vergütung und Bezahlung der Fachkräfte deutlich zu verbessern und die Ausbildung zu vergüten. Hier hat die Senatorin unsere hundertprozentige Unterstützung.

Wir fordern alle Beteiligten auf, die vielen auf dem Tisch liegenden Vorschläge zu diskutieren und schnell zu entscheiden. Jeder Platz, der gewonnen werden kann, jeder neue Azubi, jeder Quereinsteiger zählt. Da stehen wir alle gemeinsam in der Verantwortung. Menschen in Mangelberufen wird normalerweise der rote Teppich ausgerollt – z. B. im IT-Bereich. Tun wir das doch endlich auch für die Sozial- und Erziehungsberufe! – Vielen Dank!