Wohnungsbaupotenziale ausschöpfen

Der CDU-Antrag, der hier heute zur Priorität von der Fraktion erhoben wurde, stand bei der letzten Plenarsitzung praktisch ganz am Ende der Tagesordnung. Was jetzt dazu geführt hat, ihn zur Priorität zu erklären, ist für mich nicht nachvollziehbar.

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18. Sitzung, 30. November 2017

 

Dr. Michail Nelken (LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der CDU-Antrag, der hier heute zur Priorität von der Fraktion erhoben wurde, stand bei der letzten Plenarsitzung praktisch ganz am Ende der Tagesordnung. Was jetzt dazu geführt hat, ihn zur Priorität zu erklären, ist für mich nicht nachvollziehbar.

Das Thema Ausnutzung von Flächen, wo Einzelhandelsflachbauten mit Parkpaletten davor stehen, ist uralt und wird in der Stadt seit mindestens    15 Jahren diskutiert, was man da wohl machen könnte. Warum die CDU jetzt die Priorität dafür erkannt hat, ist mir nicht nachvollziehbar. Früher wurde dieses Thema immer aus städtebaulichem Grund diskutiert, weil es eben eine Vorstadtanmutung ist, die doch für die eigentliche Innenstadt eine Zumutung ist. Dann gab es die Debatte um die ökologischen Gründe, wo es um die Flächenverschwendung und die Versiegelung ging. Dann habe es die Debatte um die Wohnungsbaunutzung. Ich muss Ihnen sagen, Kollegen von der CDU, es ist sicher nicht nur in der Innenstadt so, sondern auch in Marzahn-Hellersdorf wurden ganz viele von den Schachteln hingestellt, auch in der Verantwortung des Baustadtrat Gräffs. Auch in meiner Verantwortung als Baustadtrat wurden in der Innenstadt solle Dinger hingestellt.  Insofern muss ich mal was zu dieser absurden Debatte hier sagen. Auf einer Baufläche, wo Baurecht herrscht, kann der Grundstückseigentümer einen Bauantrag stellen, und dann kriegt er die Genehmigung, dass er dieses dahin bauen darf.

Ich habe mal versucht, mit einer sehr bekannten großen Kette hier in Berlin darüber zu verhandeln, ob sie uns denn diese Vorstadtanmutung mitten in Prenzlauer Berg, auf einer exquisiten Fläche, die auch noch politisch prononciert ist, nicht ersparen können, ob die nicht ein Wohnhaus dorthin bauen würden, ob sie nicht aufstocken würden. Die Debatte ist zehn Jahre her. Ich glaube, heute würden sie vielleicht anders mit mir darüber reden, aber damals haben sie sich strikt geweigert, dort eine städtebaulich sinnvolle Lösung herbeizuführen. Sie waren der Grundstückseigentümer, sie waren der Betreiber des Marktes, der inzwischen leider dort steht. Es führte überhaupt kein Weg rein. Im Nachhinein noch mit einem Bebauungsplan drüber zu gehen, wäre auch sinnlos gewesen.

Für die meisten Flächen in der Innenstadt, über die wir reden, herrscht nach § 34 Baurecht. Insofern sollten wir uns überlegen: Wir können Gipfel und Veranstaltungen mit den Supermärkten, Discountern und Drogerieketten durchführen und sagen: Wir finden das alles blöd. – Die haben aber wirtschaftliche Konzepte für ihre Unternehmen. Insofern ist dieser Antrag sehr merkwürdig.

Nicht nur, dass Frau Lompscher einen sogenannten Supermarktgipfel durchgeführt hat und es davon eine Broschüre gibt. Es gibt auch eine Broschüre aus dem Juni 2016, aus der vorherigen Legislaturperiode mit der vorherigen Koalition – kann man sich im Internet herunterladen –, wo genau über dieses Thema aufgeklärt und sich an die Discounter, an die Grundstückseigentümer, an die Stadtplaner gewendet wird, was es doch für schöne Lösungen gäbe, wenn man nur wollte.

Aber, liebe Kollegen von der CDU, dass ich Ihnen das sagen muss: Wir leben schlicht in der Marktwirtschaft. Die Immobilienunternehmer haben ihre Interessen – das sind Renditeinteressen –, und die Betreiber der Einzelhandelsunternehmen haben auch ihre Interessen. Manche Einzelhandelsunternehmer sind überhaupt nicht bereit, auch nur für ein Jahr, zwei oder drei Jahre, wenn auf dem Grundstück neu gebaut werden soll, ihren Laden zu schließen. Dazu sind sie nicht bereit. Sie sagen, sie verlieren ihre Kunden, und das sei ihnen nicht zuzumuten.

 

Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Gräff?

Dr. Michail Nelken (LINKE):

Na gut! 

Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt:

Bitte, Herr Gräff!

Christian Gräff (CDU):

Frau Präsidentin! Herr Dr. Nelken! Ist Ihnen bewusst, dass es in der Tat überhaupt nicht primär um die Frage des Neubaus geht? Sie haben es richtig gesagt: Die Einzelhandelsbetreiber haben selbst Interessen, nämlich heute auf andere Flächen, auf größer werdende Flächen zu setzen, weil sie das müssen, und im Tausch – in Anführungszeichen – dazu im Interesse der öffentlichen Hand an mehr Wohnungsbebauung und auch sozialer Wohnbebauung möglicherweise Kompromisse eingehen würden. Es geht um dieses Thema und gar nicht so sehr um das Thema des Neubaus von Einzelhandelsflächen. 

Dr. Michail Nelken (LINKE):

Sie haben den Antrag hier vorgelegt. Es geht um diese Flächen, wo jetzt einstöckige Einzelhandelsflachbauten draufstehen mit einer Parkpalette davor, die es überall in der Stadt gibt. Es geht darum, dass man die besser nutzen soll. Der Grundstückseigentümer, wenn er auch Betreiber des Marktes ist, kann jederzeit bauen; er hat das Baurecht. Er will es nicht. Er hat ökonomische Gründe, es nicht zu wollen.

An vielen Ecken – das können Sie sich mal angucken – haben sich Grundstückseigentümer und Betreiber des Einzelhandels anders geeinigt. Ich kann jetzt fünf Beispiel aufzählen, wenn Sie gern wollten, und gucken: Da ist gebaut worden. Da ist der Einzelhandel für zwei Jahre rausgenommen worden, und dann ist er wieder reingeschoben worden. Übrigens, die Wohnungen, die darüber stehen: Ich nenne mal ein herausgehobenes Beispiel: Am Teutoburger Platz, Fehrbelliner Straße, Ecke Templiner Straße stand früher mal eine DDR-WTB-Kaufhalle, dann eine Kaiser‘s-Kaufhalle. Jetzt steht der Rohbau eines fünfstöckigen Hauses da. Die Spitzenwohnung, 100 Quadratmeter, kostet 1,5 Mil­li­o­nen Euro. Wir lösen damit, wenn es um die Innenstadtlagen geht, übrigens kein einziges Wohnungsproblem, denn die Betreiber der Märkte und die Grundstückseigentümer haben ein ökonomisches Kalkül. Wenn es sich rechnet – ich kann Ihnen mehrere Sachen aufzählen, Pappelallee, Pasteurstraße –, dann bauen sie Wohnungen. Wenn es sich für sie rechnet, werden dort Wohnungen gebaut und die Märkte unten reingeschoben. Wenn es sich für sie nicht rechnet oder es ihrem Wirtschaftskonzept widerspricht, dann tun sie das nicht.

Gehen Sie mal zum Arnimplatz und gucken sich Schivelbeiner Straße, Ecke Schönfließer Straße an, was da für ein Haus steht. Da ist ein neu gebauter Supermarkt, sehr groß, und auf dem Dach ist das Parkdeck. Da hätte eigentlich ein völlig neuer Wohnblock hingestellt werden können. Das Unternehmen war dazu nicht zu überreden. Ein rechtliches Instrument dafür hatten Sie nicht in der Hand. Insofern sollte man mal die Debatte versachlichen und nicht so tun, als o. Es zählt am Ende nur, dass man sich wirtschaftlich mit den Unternehmen und den Grundstückseigentümern einigt. Vielleicht kann man sie überreden. Zwingen will sie sicher die CDU nicht, dass sie jetzt Zwangsinstrumente für die Einzelhandelsunternehmen und die Grundstückseigentümer haben will.

Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Christian Buchholz?

Dr. Michail Nelken (LINKE):

Ja!

Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt:

Bitte, Herr Buchholz!

Christian Buchholz (AfD):

Herr Nelken! Das Objekt in der Schivelbeiner Straße ist mir auch bekannt. Sie haben völlig recht, da hätten noch ein paar Stockwerke Wohnungen drüber gepasst. Das ist völlig einleuchtend. Meine Frage dazu: Wenn jetzt ein Investor so etwas durchführt, es werden mal Wohnungen über einem Supermarkt mitgebaut, und eine Wohnung kostet dann 1,5 Millionen Euro, wo sehen Sie denn da das Problem? Denn wenn die Wohnung von jemandem gekauft wird und dort jemand einzieht, macht er wieder eine andere Wohnung frei, sodass sich der Markt, das Angebot an Wohnungen, sich dadurch vergrößert.

Dr. Michail Nelken (LINKE):

Ersten: Ich glaube, dieses Märchen vom Sickereffekt können wir weglassen. Aber ich sehe überhaupt kein Problem darin. Deswegen hätte ich es gut gefunden, wenn an der Stelle auch aus städtebaulichen Gründen statt dieser flachen Anmutung dort ein richtiger Block geschlossen wäre, auch wenn die Wohnungen sehr teuer würden. Ich wollte nur sagen: Damit löst man unser soziales Wohnungsproblem nicht, aber ich würde so etwas immer aus städtebaulichen Gründen, aus Gründen der Flächennutzung befördern wollen. In dem Fall gab es sogar ein ausgearbeitetes Projekt für einen geschlossenen Wohnblock mit einem Supermarkt unten drin und einer Tiefgarage darunter. Der Einzelhandelsbetreiber war davon nicht zu überzeugen. Insofern müssen wir uns mal über ökonomische Fragen unterhalten, statt hier so zu tun, als wenn wir alles in der Hand hätten zu diktieren. Vielleicht braucht man auch ein anderes Investitionsklima in der Stadt.

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