Quelle: rbb-online.de

Islamismus und Rechtsextremismus befeuern sich gegenseitig

Anne Helm

"Wir müssen uns klar und deutlich gegen Islamismus und Rechtsextremismus stellen, das ist unsere Pflicht als Demokratinnen und Demokraten. Beide Ideologien einen ähnliche Mechanismen und Strukturen. Sei es der Antifeminismus, der Antisemitismus oder die Verschwörungsmythen. Zudem befeuern sich beide Ideologien gegenseitig." sagt unsere Fraktionsvorsitzende Anne Helm in der Aktuellen Stunde der Plenarsitzung.

66. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 5. November 2020

Zur Aktuellen Stunde zum Kampf gegen islamistischen Terror

Anne Helm (LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Damen und Herren! Ich nehme an, wir sind alle immer noch erschüttert von dem schrecklichen Anschlag in Wien, und besonders beunruhigend ist, dass er sich in eine Welle islamistischer Gewalttaten im Namen des IS einreiht: in Paris, in Nizza, in Dresden und in Kabul, lassen Sie uns das nicht vergessen. Sie alle eint das verstörende Zurschaustellen abscheulicher Gewalt. Unser Mitgefühl gilt den Angehörigen der Opfer, den Verletzten, die zum Teil immer noch um ihr Leben ringen, all den Traumatisierten. Wir trauern gemeinsam um die Opfer.

Solidarität ist in diesen schweren Stunden wichtig. Sie hilft den Betroffenen von Terror und Gewalt bei der Aufarbeitung des Geschehenen und kann auch oft ein bisschen von dem verlorengegangenen Sicherheitsgefühl zurückgeben.

Aber wir sind in der Verantwortung, es nicht bei bloßen Bekenntnissen und symbolischen Akten zu belassen, sondern den Terror und vor allem die ihm zugrunde liegende Ideologie entschlossen zu bekämpfen. Dazu gehört, dass wir jetzt natürlich religiöse Einrichtungen noch besser schützen müssen. Wir haben einen Schwerpunkt gesetzt bei der besseren Ausstattung der Polizei, bei Terrorabwehrtrainings und der Vorbereitung darauf – meine Kollege Zimmermann hat dazu schon ausgeführt. Es gehört aber auch dazu, dass wir dort intervenieren, wo Radikalisierung und Rekrutierung durch Islamisten stattfindet, auch im Netz. Dafür müssen wir diesen potenziellen Zielgruppen, die von denen angesprochen werden – auch dazu hat Herr Kollege Zimmermann schon ausgeführt, wer dafür potenziell empfänglich ist –, das Rüstzeug in die Hand geben, diese Strategien zu erkennen und sich dagegen zu wehren.

Aber wir können natürlich aus Berlin heraus diese Probleme nicht alleine lösen. Gegen internationalen Terror helfen nur globale Ansätze. Dementsprechend wären die Bundesregierung und unsere europäischen Partnerinnen und Partner gut beraten, die Ursachen von Terror weltweit zu bekämpfen. Davon gibt es leider sehr, sehr viele. Nehmen wir den Krieg in Syrien, der immer noch andauert, auch wenn das in Deutschland mittlerweile weitestgehend unbeachtet bleibt oder sogar geleugnet wird. Man kann inzwischen nur noch unter Schwierigkeiten alle Autokraten aufzählen, die dort um der eigenen Machtinteressen willen tagtäglich Menschen ermorden lassen. Assad jagt unter beträchtlicher Mithilfe Putins die letzten Reste der Opposition, während auf der anderen Seite Erdoğan einen Krieg führt, zu dem sich die NATO beispielsweise überhaupt nicht verhält. Unser Außenminister könnte sich gegen den Krieg in der Region um Bergkarabach stellen und Verhandlungen anführen oder er könnte die Verkäufe von Waffen an Saudi-Arabien verhindern, an denen dann islamistische Terrorkämpfer ausgebildet werden.

Er hätte sich auch dafür einsetzen können, die kurdische YPG im Kampf gegen die islamistischen Banden Erdoğans zu unterstützen. Aber all das ist nicht geschehen.

Stattdessen wird wieder einmal der Ruf nach ausufernden Befugnissen für die Geheimdienste und dem Aufblähen ihrer Apparate laut. Wem das als einzige Antwort auf die islamistische Bedrohung einfällt, der hat aus der jüngeren Geschichte des internationalen Terrors und der Geheimdienste nichts gelernt.

Wir müssen stattdessen zuallererst die Betroffenen unterstützen und stärken. Wir dürfen nicht vergessen, dass der weit überwiegende Teil der Menschen, die dem Islamismus zum Opfer fallen, selbst Muslime sind. Diesen Menschen müssen wir zuhören und wir müssen sie ernst nehmen. Viele Geflüchtete, die beispielsweise während der iranischen Revolution 1979 nach Deutschland geflohen sind, fühlen sich bei heute von der deutschen Gesellschaft alleine gelassen. Immer noch, nach 41 Jahren, verschwinden täglich im Iran Frauen, die sich des Kopftuchs entledigen und gegen das patriarchale Herrschaftssystem aufbegehren. Das müssen wir ernst nehmen. Das tun wir nur, indem wir nicht schweigen, sprachlos bleiben und nach jedem Anschlag, sofern er denn in Europa verübt wird, Lippenbekenntnisse von uns geben.

Wir müssen uns klar und deutlich gegen Islamismus und gegen Rechtsextremismus stellen, das ist unsere Pflicht als Demokratinnen und Demokraten. Denn beide Ideologien haben ähnliche Mechanismen und Strukturen, sei es der Antifeminismus, der Antisemitismus oder die Verschwörungsmythen.

Auch wenn es schwerfällt, das zu hören: Es ist so, dass beide Ideologien sich gegenseitig befeuern. Nach jedem islamistischen Anschlag sehen sich die Rechten im Aufwind.

Gleichzeitig sorgt die rassistische Ausgrenzung junger Muslime dafür, dass der Boden bereitet wird für die Radikalisierung durch Islamisten. In den Grauen Wölfen, die sowohl in Wien als auch in Berlin sehr stark sind, finden wir beide Ideologien in einer Verschmelzung: völkischer Nationalismus und radikaler Islamismus. Frankreich will sie nun verbieten. Ich finde, diese Initiative sollten wir auch zumindest prüfen.

Wir kommen in einer pluralistischen Gesellschaft nicht umhin, diesen Diskurs zu führen. Denn tun wir das nicht, wäre das ein fatales Signal an säkulare Muslime, die nicht nur unter der Pauschalisierung von rechts leiden, sondern so auch unsichtbar gemacht werden in ihrem eigenen Kampf um Freiheit und darin allein gelassen werden. Denn wer alle Musliminnen und Muslime der Terrorunterstützung verdächtigt, der redet der islamistischen Ideologie das Wort.

Von Krisen wie der, die wir gerade zu bewältigen haben, profitieren auch diejenigen, die die Gesellschaft spalten und destabilisieren wollen. In Zeiten existenzieller Ängste haben sie leichteres Spiel. Aussichtslosigkeit, Konkurrenzdruck und die Suche nach Sündenböcken spielen ihnen in die Hände. Und auch deshalb liegt es in unserer Verantwortung, den Menschen sichere Perspektiven zu bieten, die Ausgegrenzten in die Mitte unserer Gesellschaft zu holen und denjenigen zuzuhören, die nicht die Macht haben, sich Gehör zu verschaffen.

Das schaffen wir, wenn wir den Kampf gegen vorherrschende Unterdrückungsmechanismen aufnehmen und auch die soziale Frage stellen, statt Identitäten gegeneinander auszuspielen. Es ist unsere Aufgabe, sichere Strukturen für Menschen zu schaffen, die vom Islamismus verfolgt und bedroht werden, Menschen etwa, die aufgrund ihrer Sexualität oder ihres Geschlechts Repressionen erfahren. Das ist auch durch das Attentat auf zwei homosexuelle Männer in Dresden im Oktober wieder schmerzhaft deutlich geworden.

Gestatten Sie mir, den österreichischen Bundeskanzler, Sebastian Kurz, zu zitieren, Herr Präsident:

Wir werden nicht in die Falle der Täter tappen. Dies ist kein Kampf zwischen Christen und Muslimen oder zwischen Österreichern und Migranten. Dies ist ein Kampf zwischen den vielen Menschen, die an den Frieden glauben, und den wenigen, die sich den Krieg wünschen.

Ich finde, da kann man durchaus dem Bundeskanzler Kurz applaudieren. Ich hoffe, dass es uns gelingt, diese Worte auch trotz Wut und Fassungslosigkeit im Bewusstsein zu behalten. Am Ende muss gelten, dass wir mit aller Konsequenz gemeinsam gegen jeden Antisemitismus, jeden Rassismus und Islamismus für eine freie Gesellschaft kämpfen. – Herzlichen Dank!