Anne Helm (Die Linke): Kritischer Blick auf Frauenrechte in der DDR

Kritischer Blick auf Frauenrechte in der DDR

Dass der internationale Frauentag in diesem Jahr fast zusammenfiel mit der Debatte zum Tätigkeitsbericht des Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Berliner Abgeordnetenhaus hat Anne Helm zum Anlass genommen, einen kritischen Blick auf Frauenrechte in der DDR zu werfen. Kein bequemes Thema, aber darum geht es hier auch nicht.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Und vor allem – lieber Frank Ebert!
Ich möchte mich natürlich als Erstes dem herzlichen Dank bei Frank Ebert und seinem Team für seine bisherige geleistete Arbeit anschließen, aber selbstverständlich auch dem an seinen Vorgänger Tom Sello, auf den die vorgelegten Berichte auch zurückgehen und der uns hier immer wieder mit Nachdruck Ideen und Engagement mitgegeben hat, was ich wirklich inspirierend fand. Herzlichen Dank dafür!

Wie vielfältig die Arbeit ist, die Sie zu bewältigen haben, haben die Tätigkeitsberichte, aber auch Ihr Vortrag hier schon gezeigt. Es geht um Beratung, aber nicht nur: Es geht auch um Förderung und vor allem auch um Aufklärung. Und wie wichtig Aufklärung immer noch ist, ist heute auch deutlich geworden, beispielsweise bei den permanenten Zwischenrufen von rechts: „Wie heute!“ Das ist Beweis, glaube ich, dass vielen heute überhaupt nicht mehr klar ist, was das Leben in der Diktatur bedeutet hat.

Es reicht eben nicht aus, Jubiläumstage, Gedenkveranstaltungen und Feierlichkeiten zu begehen. Es braucht viel mehr als das, um der Aufgabe einer nachhaltigen Aufarbeitung gerecht zu werden. Es braucht verschiedenste Räume und Formate für Bildung und Information, aber eben auch Orte für Austausch, für Vernetzung und Unterstützung. Außerdem braucht es Menschen, die Betroffenen ein offenes Ohr schenken und anderen immer wieder auch auf die Füße treten, um genau diese Anliegen weiter voranzubringen und dafür zu sorgen, dass aus Lippenbekenntnissen am Ende auch Finanzierungspläne werden. Genau das macht Frank Ebert, und dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Aber man muss die Feste natürlich feiern, wie sie fallen; das gehört auch dazu. Deswegen feiern wir dieses Jahr 35 Jahre Mauerfall. Gerade für die Berlinerinnen und Berliner ist das ein ganz besonderer Tag, insbesondere für diejenigen, die damals dabei gewesen sind. Es ist ja nicht jedem vergönnt, in einem Moment historischen Umbruchs dabei zu sein, und nicht nur dabei zu sein, sondern Teil davon zu sein. Darum freuen sich, glaube ich, viele auf diese Jubiläumsfeiern. Gleichzeitig ist dieser Tag für die gesamte deutsche Gesellschaft eine Zäsur sondergleichen und ein Grund zur Freude – sollte man zumindest meinen. Aber schaut man sich das Engagement des Bundes an, kommen in mir zumindest manchmal Zweifel auf. Der Fall der Berliner Mauer ist keine reine Berliner Angelegenheit, sondern hat Bedeutung für Deutschland und für ganz Europa. Ich finde, es wäre angemessen, wenn der Bund das auch durch sein finanzielles und organisatorisches Engagement unterstreichen würde.

Aber das ist nur ein Baustein, an dem deutlich wird, dass das Thema Aufarbeitung der SED-Diktatur insgesamt immer noch nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen wird. Diese Ignoranz ostdeutscher Geschichte gegenüber ist auch ein Symptom für eine grundsätzliche Schieflage, die nach wie vor zwischen Ost und West besteht. Aufarbeitung darf nicht alleine ein Thema des Ostens bleiben. Es ist ein Problem, dass Strukturen für Beratung und Aufarbeitung im Westen immer noch größtenteils fehlen. Das ist nicht nur deswegen ein Problem, weil Menschen mit Entschädigungsansprüchen in ganz Deutschland leben; es ist auch ein Problem, weil die DDR-Geschichte sich nicht losgelöst von der BRD betrachten lässt. An dieser Stelle will ich nur beispielhaft an westdeutsche Unternehmen erinnern, die Handel mit der DDR trieben und von Zwangsarbeit politischer Gefangener profitiert haben.

Auch hier braucht es natürlich eine Verantwortung für Aufarbeitung, und auch bei der Entwicklung des Campus für Demokratie erwarten wir natürlich Engagement vom Bund; diesem Appell von Frank Ebert möchte ich mich gerne anschließen.  Auch wir als Linke stehen voll und ganz hinter diesem Projekt, auch im Wissen darum, dass wir eine besondere Verantwortung haben. Meine Kollegin Pau setzt sich auf Bundesebene auch dafür ein, und ich hoffe, dass wir da dieses Jahr einige Schritte weiterkommen. Der Campus wird als Bildungs- und Vernetzungsort von Bedeutung sein, aber er wird auch eine weitere Rolle spielen, die bisher viel zu wenig Würdigung erfahren hat: die Sichtbarmachung und Anerkennung von Widerstand nämlich. Das ist nicht nur relevant, weil das Aufbegehren dieser sehr unterschiedlichen, mutigen Menschen einen Platz in der deutschen Erinnerungskultur verdient hat, sondern auch, weil wir nachfolgenden Generationen vermitteln müssen, wie wichtig es ist, gegen Unrecht aufzubegehren und für Freiheitsrechte entschlossen einzutreten. Warum das aktuell ist, haben meine Vorrednerinnen und Vorredner, finde ich, schon sehr spürbar gemacht.


Wir haben nicht oft die Gelegenheit, uns im Plenum an so prominenter Stelle ausführlich zum Thema SED-Aufarbeitung auszutauschen. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um angesichts des morgigen Frauentages ein paar frauenpolitische Schlaglichter auf das Thema zu werfen:
Es gibt ja das trügerische Klischeebild der emanzipierten DDR-Frau, und ja, es gibt dafür auch Anknüpfungspunkte: Frauen im Osten waren aufgrund von Lohnarbeit und flächendeckender Kinderbetreuung deutlich unabhängiger als Westfrauen. Sie hatten mehr Rechte gegenüber ihren Ehemännern; auch das ist richtig. Es gab ein anderes Selbstverständnis von Weiblichkeit, das dazu führte, dass es zum Beispiel kein Widerspruch war, auch Kranführerin zu sein. Von Gleichberechtigung kann aber nicht die Rede sein. Im Durchschnitt verdienten Frauen auch in der DDR 30 Prozent weniger, bekamen seltener Führungspositionen und waren häufiger von Altersarmut betroffen. Auch konnten sie natürlich nicht frei und unabhängig von patriarchalen Strukturen leben und agieren. So waren lesbische Frauen in der DDR zwar nicht kriminalisiert, sie hatten aber auch keine Resonanzräume, um frei zu leben. Sie und ihre Anliegen passten eben nicht ins Bild der männlichen SED-Führung. So wurde beispielsweise eine Frauengruppe, die in Ravensbrück einen Gedenkkranz für lesbische Opfer des Nationalsozialismus ablegte, verhaftet, verhört und am Ende das Gedenken untersagt. Grundsätzlich machten sich Frauen verdächtig, sobald ihre Selbstbestimmung außerhalb der vorgesehenen Bahnen verlief. Das war zum Beispiel auch dann häufig der Fall, wenn sie wechselnde Sexualpartner hatten oder wenn es allein den Verdacht darauf gab.

In diesem Kontext möchte ich ein weiteres frauenspezifisches Thema ansprechen, nämlich die sogenannten Tripperburgen. Ich weiß nicht, ob alle im Saal sich unter diesem Begriff etwas vorstellen können: Das waren geschlossene venerologische Stationen, die also auf Geschlechtskrankheiten spezialisiert waren, die es in verschiedenen Städten der DDR gab, unter anderem auch in Ost-Berlin. Der Name ist aber trügerisch; diese Stationen dienten nämlich nicht der Gesundheit, sondern der angeblichen Erziehung von Mädchen. Im Volksmund wurden sie Tripperburgen genannt. Hier wurden unter anderem Jugendliche und junge Frauen eingesperrt, denen sexuelle Freizügigkeit unterstellt wurde, aber auch angeblich unerzogene Mädchen oder Jugendliche, die als sogenannte Herumtreiberinnen oder Arbeitsbummelantinnen aufgegriffen wurden. In den Kliniken wurden Mädchen und Frauen zwischen zwölf und 22 Jahren aus Erziehungsgründen eingesperrt und mussten über Monate hinweg überflüssige gynäkologische Untersuchungen über sich ergehen lassen und Strafen bei angeblich aufmüpfigem Verhalten ertragen. Zudem gibt es Berichte von Vergewaltigungen durch Stasi-Mitarbeiter in diesen Einrichtungen.

Erschütternd sind nicht nur diese Berichte über die sogenannten Tripperburgen, sondern auch die Tatsache, dass es bis Anfang der 2000er-Jahre kaum ein Bewusstsein für deren Existenz gab. Das zeigt auch, dass es eben keinen Schlussstrich bei der Aufarbeitung geben darf. Tatsächlich hat es eine ganze Weile gedauert, bis betroffene Frauen öffentlich über ihre Misshandlungen gesprochen haben. Bis heute kämpfen viele von ihnen mit körperlichen und seelischen Spätfolgen, und nur wenige haben je eine Entschädigung für das erfahrene Leid erhalten. Das hat verschiedene Gründe. Manche dieser Gründe liegen auch in unseren Händen. Diese Barrieren zu beseitigen, ist unsere gemeinsame Aufgabe. Ich möchte mit diesem Beispiel aufzeigen, dass immer noch sehr viel vor uns liegt, das wir zu bearbeiten haben; Aufgaben, die wir nur bewerkstelligen, indem wir gemeinsam an einem Strang ziehen. In dem Zusammenhang möchte ich gerne den Dank des Kollegen Juhnke aufgreifen, der sich für die überfraktionelle Zusammenarbeit in diesem Themenbereich bedankt hat. Dem schließe ich mich gerne an. Lieber Frank Ebert! Ich wünsche Ihnen viel Erfolg für das kommende Jahr. Gerne unterstütze ich, wo ich nur kann, und hoffe, dass Sie es immer wieder schaffen werden, den richtigen Leuten zur richtigen Zeit ein offenes Ohr zu schenken – oder, wenn es sein muss, ihnen eben auch auf die Zehen zu treten. – Vielen Dank!