Carsten Schatz, Die Linke: "Soziale Träger sind kein 'Nice-to-Have', wenn die Kasse stimmt."

Soziale Träger sind kein 'Nice-to-Have', wenn die Kasse stimmt.

Rede des Fraktionsvorsitzenden, Carsten Schatz, zum Antrag der Linksfraktion: "Pakt mit den sozialen Trägern und den Verbänden der Wohlfahrtspflege schließen – Die soziale Infrastruktur der Stadt auch in Krisenzeiten sichern!"

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich hätte ich an dieser Stelle gern den Regierenden Bürgermeister angesprochen, weil ich finde, wir haben in der Aktuellen Stunde heute gelernt: Der Regierende Bürgermeister ist ja der, der offensichtlich diese Koalition zusammenhält und auch die Klammer bildet. Insofern wäre es sinnvoll, er wäre hier.

Wie dem auch sei, Ihre Koalition hat vor sieben Wochen einen Haushalt beschlossen, der schon heute das Papier nicht mehr wert ist, auf dem er steht. Der ungedeckte Scheck der pauschalen Minderausgaben, allein 1,75 Milliarden Euro in 2024, ist, wie im Dezember prophezeit, geplatzt. Nur Tage nach dem Haushaltsbeschluss flatterte das haushaltwirtschaftliche Rundschreiben des Finanzsenators allen Senatoren in den Briefkasten. 5,9 Prozent des Gesamtvolumens sollen die Einzelpläne an Sparvorschlägen erbringen. Einzelne Senatoren gingen dagegen auf die Barrikaden. Frau Spranger, Frau Kiziltepe, Frau Günther-Wünsch, auch Frau Czyborra, zu Recht, wie ich finde. Die Gefahr ist groß, dass die Kürzung vor allem zulasten der zuwendungsfinanzierten sozialen Träger und der Wohlfahrtspflege aufgelöst werden – einzelne Bezirke haben das bereits angekündigt – und die soziale Infrastruktur als erstes unter die Räder gerät.

Viele Einrichtungen und Träger sind an der Grenze des Leistbaren. Eine Kürzung ihrer Budgets hätte häufig die Schließung und damit den Verlust der kompletten angebotenen sozialen Dienstleistungen zur Folge. Ein Jugendclub, ein Stadtteilzentrum oder eine Senioreneinrichtung, die einmal geschlossen sind und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entlassen haben, wird so schnell nicht wiederkommen. Deshalb ist es fatal, wenn Zuwendungsbescheide verschickt werden, die vorläufig sind und bis auf Widerruf erteilt werden, wenn es denn überhaupt schon Zuwendungsbescheide gibt. Hier, Herr Regierender Bürgermeister, ist politische Führung gefragt! Ja, ich meine, es bedarf politischer Entscheidungen über Schwerpunktsetzung, etwas, was Ihre Koalition leisten muss, offen und transparent. Der Ort ist hier im Parlament. Und deshalb fordere ich Sie auf: Ermöglichen Sie die Debatte darüber mit einem Nachtragshaushalt, den Sie hier im Parlament zur Debatte stellen. 

Trotzdem wollen wir Ihnen als Opposition beim Scheitern nicht zuschauen. Wir mischen uns ein im Interesse der Vielen in der Stadt, die soziale Dienstleistungen erbringen und der Vielen, die sie brauchen. Soziale Träger und die Verbände der Wohlfahrtspflege bilden das Rückgrat der sozialen Infrastruktur dieser Stadt, doch die anhaltend hohen Belastungen durch multiple Krisen bringen ihre personellen, finanziellen und räumlichen Ressourcen an die Grenze der Belastbarkeit. Steigende Kosten für Miete, Energie und Sachmittel sowie dringend benötigte verbesserte Tarifbedingungen für ihre Beschäftigten kosten viel Geld. Es fällt ihnen zusehends schwer, Personal und Räumlichkeiten zu finden, während der Bedarf an sozialen Dienstleistungen gleichzeitig stark zunimmt. Sofern sich die wirtschaftliche Lage bis 2026 nicht erheblich verbessert und mit erheblich höheren Steuereinnahmen gerechnet werden kann, muss befürchtet werden, dass mit dem Doppelhaushalt 2026/27 eine Abbruchkante für die soziale Infrastruktur droht. Der Finanzsenator hat in Leipzig bei der SPD-Fraktionsklausur von 5 Milliarden Euro gesprochen. Deshalb brauchen wir jetzt, also vorher, einen politischen Prozess, der gemeinsam mit den sozialen Trägern und Verbänden der Wohlfahrtspflege eine Verabredung erarbeitet, die der Haushaltslage gerecht wird und gleichzeitig für Berechenbarkeit und Planbarkeit über den Doppelhaushalt hinaus sorgt und in dem der Senat mit den Trägern einen Pakt schließt, der den Zuwendungsempfängern in der Stadt langfristige Perspektiven eröffnet und die dringend benötigte demokratische Zivilgesellschaft schützt.

Dabei muss aus unserer Sicht auf die Erfahrung mit den bestehenden Rahmenverträgen zurückgegriffen werden. Die aktuelle politische Lage macht deutlich, dass ein weiteres Wegbrechen von sozialer Infrastruktur zu einem Erstarken von antidemokratischen Kräften führt. Deshalb soll ein Plan erstellt werden, in dem der Senat bis 2035 festschreibt, wie er die soziale und demokratische Infrastruktur entwickeln und stabilisieren möchte. Deshalb braucht es aus unserer Sicht klare Orientierung, Verlässlichkeit und Stabilität für die Menschen, die auf die Leistungen der sozialen Träger und Wohlfahrtsverbände angewiesen sind, wie auch für die, die diese Leistungen erbringen. Ihren Anspruch, Herr Regierender Bürgermeister, haben Sie in Ihrer Haushaltsrede selbst formuliert, und ich zitiere: Je größer die Verunsicherung, desto wichtiger sind Orientierung, Verlässlichkeit und Stabilität. Genau dafür, …, steht diese Koalition.– Zitat Ende. – Momentan herrscht Verunsicherung, fragen Sie die Träger. Dagegen wollen wir mit unserem Vorschlag Orientierung, Verlässlichkeit und Stabilität setzten. Wenn Ihr Anspruch, Herr Regierender Bürgermeister, nicht in Bettina Jaraschs Kategorie „Wegners warme Worte“ fallen soll, lassen Sie uns darüber ernsthaft ins Gespräch kommen. Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch. – Vielen Dank!


Antrag "Pakt mit den sozialen Trägern und den Verbänden der Wohlfahrtspflege schließen"