Niklas Schrader: Organisierte Kriminalität bekämpfen, Quelle: rbb-online.de

Organisierte Kriminalität bekämpfen

"Wir haben endlich eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Behörden bei Themen wie Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Schutzgelderpressung, Betrug oder Raub, und es wurde eine Koordinierungsstelle „organisierte Kriminalität“ eingerichtet, damit die ressortübergreifende Zusammenarbeit besser gelingt", sagt Niklas Schrader.

48. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 31. Oktober 2019

Zur Aktuellen Stunde "Bekämpfung der organisierten Kriminalität"

Niklas Schrader (LINKE):

Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Die Kriminalität in Berlin ist rückläufig. Das ist auch ein bundesweiter Trend der letzten Jahre, den kann man feststellen. Niemand behauptet, dass man die Hände in den Schoß legen soll. Das machen wir auch nicht. Was Sie von der CDU-Fraktion hier aber permanent betreiben, Herr Dregger, dieses Mantra nach dem Motto: „Alles wird immer gefährlicher, immer schlimmer, und die Polizei kann nicht richtig arbeiten“, das ist ein schäbiges Spiel mit der Angst, mit dem Sie versuchen, politisch zu punkten.

Wenn Sie dann hier noch Nebelkerzen werfen und über nichts anderes reden als über das Antidiskriminierungsgesetz, gehört das in diese Strategie hinein. Sie schwächen damit das Sicherheitsgefühl der Menschen, und das wissen Sie genau. Das werfe ich Ihnen vor, Herr Dregger.

Was wir in Berlin machen – weswegen wir auch die Aktuelle Stunde angemeldet haben –, ist ein anderer Ansatz: Wir schauen uns an, in welchen Kriminalitätsbereichen es kritische Entwicklungen gibt, und dann arbeiten wir gezielt dagegen. Im Bereich der organisierten Kriminalität gibt es natürlich einige Punkte, wo sich nach langem Nicht-Kümmern – auch unter Ihrem Innensenator, Herr Dregger – jetzt endlich einmal etwas bewegt.

Präsident Ralf Wieland:

Herr Kollege, ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Luthe zulassen.

Niklas Schrader (LINKE):

Ich möchte ohne Zwischenfragen zu Ende führen. Danke!

Wir haben endlich eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Behörden bei Themen wie Geldwäsche, Steuerhinterziehung, Schutzgelderpressung, Betrug oder Raub, und es wurde eine Koordinierungsstelle „organisierte Kriminalität“ eingerichtet, damit die ressortübergreifende Zusammenarbeit besser gelingt. Wir schaffen uns eine bessere Informationslage, indem wir auf Landesebene – Herr Dregger, Sie wissen das eigentlich auch – in diesem Jahr erstmalig ein Lagebild „organisierte Kriminalität“ erstellen. Das ist in Arbeit. Wir sind auch Vorreiter – Herr Zimmermann hat es schon genannt – bei der Abschöpfung von illegal erworbenem Vermögen. Dafür gibt es jetzt eine eigene Abteilung in der Staatsanwaltschaft, und dort ist auch schon einiges zusammengekommen, gerade im Immobilienbereich. Wir wollen noch erreichen, dass abgeschöpfte Immobilien nicht zum höchsten gebotenen Preis versteigert werden, sondern dem Allgemeinwohl zugutekommen, also in die öffentliche Hand kommen. Das wäre eine gute Sache, und deshalb haben wir dazu einen Antrag im Geschäftsgang.

Ich will an dieser Stelle noch einmal ein Lob an Polizei und Staatsanwaltschaft loswerden. – Ja, hört, hört! – Wir hatten in den letzten Jahren steigende Zahlen bei Delikten wie Einbrüchen und Taschendiebstahl. Die Zahlen waren so hoch, weil auch organisierte, professionellen Banden am Werk waren und im großen Stil vorgegangen sind. Viele dieser Strukturen sind aufgedeckt worden, deswegen sinken diese Zahlen. Gerade bei diesen Delikten sehen wir: Mit einer richtigen Schwerpunktsetzung, mit aufwendiger Ermittlungsarbeit, mit gutem, qualifiziertem Personal, mit einer besseren Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft, mit internationaler Zusammenarbeit kann man effektiv etwas erreichen, damit kann man Kriminalität senken.

Jetzt staunen Sie einmal, liebe CDU! Dafür braucht man keine neuen Grundrechtseingriffe und keine neuen Befugnisse. Dafür braucht man gutes Personal und gute Arbeitsbedingungen, und genau das schafft die Koalition in Berlin.

Jetzt komme ich noch einmal zur sogenannten Clankriminalität. Ich unterstütze konsequentes Vorgehen gegen organisierte Kriminalität und auch eine bessere Zusammenarbeit zwischen Behörden.

Ich finde aber den Begriff „Clankriminalität“ problematisch. Kriminell sind Taten, keine Familien. Straftaten werden von Personen begangen oder eben von organisierten Personengruppen, und da können auch Personen untereinander verwandt sein – keine Frage! Mit diesem Begriff „kriminelle Clans“ aber ganze Familien für kriminell zu erklären – das ist stigmatisierend und hilft auch sicherheitspolitisch nicht weiter.

Das führt auch dazu, dass bestimmte Menschen aus bestimmten Familien eine Wohnung nicht anmieten können oder einen Job nicht bekommen oder schon in den Schule den Stempel „kriminell“ bekommen, weil sie den falschen Namen tragen, und das kann in einem Rechtsstaat nicht sein.

Dass es in einigen Familien, die in den Achtzigerjahren aus dem Libanon nach Deutschland gekommen sind, Mitglieder gibt, die abgedriftet sind und ihr Geld mit Straftaten verdienen, ist ja nicht vom Himmel gefallen. Daran hat die deutsche Politik einen Anteil. Von Anfang an hat der Staat klargemacht, dass diese Menschen hier keinen Fuß auf die Erde bekommen: befristete Duldungen, keine Arbeitserlaubnis, null Unterstützung, hier anzukommen. Das ist Integrationsverweigerung durch den Staat.

Das, liebe CDU-Fraktion, ist eine Entwicklung, die Sie mitgetragen und begünstigt haben. Sie sind die Letzten, die hier nach Maßnahmen wie Abschiebungen rufen sollten. Da kommt es auch 30 Jahre zu spät, dass man sich jetzt Gedanken macht, wie man Menschen aus diesen Familien Alternativen aufzeigt.

Ich will noch auf die großen Verbundeinsätze zu sprechen kommen, die in den letzten Monaten so eine große Aufmerksamkeit bekommen haben. Ich habe dazu einige Anfragen gestellt, und finde es auch erst einmal eine gute Sache, wenn die verschiedenen Behörden beim Kampf gegen organisierte Kriminalität so gut zusammenarbeiten. In den Antworten auf meine Anfragen, muss ich sagen, wurden mir bislang kaum konkrete Ansatzpunkte zur organisierten Kriminalität genannt. Ich bin ja Neuköllner, und ich muss sagen, diese Einsätze treffen richtig viele Menschen und auch viele, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Ich bekomme auch Berichte von – sagen wir einmal vorsichtig – etwas ruppigem Auftreten der Polizei und nicht immer nachvollziehbaren Maßnahmen bei Gewerbetreibenden, auch bei Shisha-Bars, die sich nicht erklären können, warum ihr Laden dichtgemacht wird und dann wieder öffnen darf, ohne dass irgendwie klar war, was sie falsch gemacht haben.

Deswegen will ich noch einmal betonen: Gezielte Einsätze gegen organisierte Kriminalität, ja! Verbundeinsätze, ja! Einsätze aber nach dem Motto: „Wir gehen jetzt einmal flächendeckend überall ganz massiv hinein und schauen, was dort so ins Netz kommt“, finde ich problematisch.

Ich warne auch davor, sich ausschließlich auf die sogenannten Clans zu konzentrieren. Nach dem Lagebericht des BKA gab es 2018 – –  

[Georg Pazderski (AfD): Schluss mit
den zweistelligen Ergebnissen bei der SPD! –
Weitere Zurufe von der CDU, der FDP und der AfD]

– Hören Sie auf, so zu schreien dort drüben. Ich verstehe mein eigenes Wort nicht mehr.

Präsident Ralf Wieland:

Meine Kolleginnen und Kollegen! Es wird schwierig, zuzuhören. Ich bitte um mehr Ruhe.

Niklas Schrader (LINKE):

– Ich warne davor. – Im Lagebericht 2018 des BKA sind 59 Verfahren im Bereich OK in Berlin aufgeführt. Davon sind fünf der sogenannten Clankriminalität zugeordnet, und deshalb haben auch andere Schwerpunkte mindestens genauso eine Berechtigung.

Wir haben zum Beispiel steigende Zahlen im Bereich Betrug im Internet, insbesondere beim Onlineshopping und Kreditkartenbetrug. Das ist besorgniserregend, und das muss ein Schwerpunkt werden bei der Polizeiarbeit. Wir haben Fälle von dreistem Abrechnungsbetrug in der Pflege. Dabei ging es nicht nur um Millionenbeträge, sondern auch um die Gesundheit der Menschen. Nicht zuletzt der ganze Bereich Finanzkriminalität von CumEx-Geschäften bis hin zu den Panama Papers! Da würde ich mir einmal solch eine öffentliche Empörung und Aufmerksamkeit wünschen wie bei den Clan – mit Schlagzeilen, mit Talkshows –, denn da geht es um richtig viel Kohle, die uns allen gestohlen wird.

Zu guter Letzt will ich noch einmal anregen, dass wir zusammen über den Tellerrand schauen. Der Drogenhandel macht laut BKA ungefähr 30 Prozent aller Verfahren im Bereich OK aus, gut zehn Prozent allein Cannabis. Wir müssen so weit kommen, dass dieser ganze Schwarzmarkt keine Grundlage mehr hat, kein Geschäftsmodell mehr ist.

Wir müssen zwangsläufig darüber reden und darüber nachdenken, wie wir die kontrollierte Abgabe von bestimmten Drogen regeln. Cannabis wäre schon einmal ein erster Schritt. R2G ist da ja mit dem Modellprojekt auf dem richtigen Weg. Ich finde aber, mittelfristig müssen wir weiterdenken. Kontrollierte Abgabe heißt nicht Freigabe, das will ich auch klar sagen – im Gegenteil: Es heißt Regulierung, es heißt Kontrolle, es heißt besserer Gesundheitsschutz.

Und wenn es so was gibt, dann lässt sich auf dem Schwarzmarkt auch kein größeres Geld mehr verdienen. Deswegen brauchen wir endlich eine neue Drogenpolitik auf Bundesebene. Das wäre ein richtiger Schlag gegen die Organisierte Kriminalität. Denken Sie mal darüber nach! Das muss nicht heute sein, aber vielleicht morgen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!