Berlin braucht Dringenderes als einen Normenkontrollrat

36. Sitzung, 24. Januar 2019

Sebastian Schlüsselburg (LINKE):

Vielen Dank, Herr Präsident! – Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Gäste und Zuhörer! Liebe FDP! Ich freue mich ja über fast jedes rechtspolitische Thema, das wir in diesem Hohen Hause miteinander beraten können, aber diese Anmeldung hat mich denn doch ein wenig überrascht, und zwar die Art und Weise, dass Sie dieses Thema zu Ihrer Priorität machen und auch, wie. Ich glaube, die Berlinerinnen und Berliner haben tatsächlich andere, dringendere Probleme – wir hatten gerade die Aktuelle Stunde – als sich um die Einführung eines Normenkontrollrats zu scheren.

Aber gut, reden wir drüber. Werter Kollege Swyter! Sie haben hier einen Antrag vorgelegt und auch in Ihrer Begründung ausgeführt und dabei leider meine Erwartungen enttäuscht. Sie haben tatsächlich einfach nichts mehr gemacht als die alte Leier von neoliberalem Staatsverständnis und Bürokratieabbau gesungen. Das ist tatsächlich sehr schade, denn eigentlich geht es bei dem Thema um mehr, es geht um die Frage Rechtsetzungslehre und gute Gesetzgebung.

Die Ausführungen waren leider auch unterkomplex und aus der Zeit gefallen. Ich werde Ihnen sagen, warum das so ist: Zuerst einmal – das haben Sie vielleicht nicht recherchiert –, Berlin hatte einmal eine unabhängige Normenprüfkommission bei der Senatskanzlei und die wurde aus guten Gründen abgeschafft und überführt in die zentrale Gesetzesfolgenabschätzung, GFA, das können Sie nachlesen in § 35 GGO II. Diese Gesetzesfolgenabschätzung umfasst sämtliche Fragen, die ihr heißgeliebter Normenkontrollrat eigentlich auch behandeln soll. Es geht um volkswirtschaftliche Auswirkungen von Gesetzentwürfen, Kosten-Nutzen-Verhältnissen, Regelungsalternativen, Teilhabefragen und vieles mehr. Die Rechtsetzungslehre, das ist ein alter Hut, hat mit dieser Idee und mit dieser Checkliste das Ziel einer guten Gesetzgebung verfolgt.

Präsident Ralf Wieland:

Herr Kollege! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gräff von der CDU zulassen.

Sebastian Schlüsselburg (LINKE):

Nein! – Sie können ja eine Zwischenintervention machen, kein Problem. Ich will erst einmal ausführen.

Dieses Ziel der guten Gesetzgebung mit dieser sehr, sehr umfangreichen Checkliste war auch Gegenstand des Deutschen Juristentages im Jahr 2003. Es gab sogar Leute, die gesagt haben, es gebe eine verfassungsrechtliche Pflicht zum guten Gesetz. Wissen Sie, was nach all diesen Debatten von schlaueren Leuten als denen, die hier sitzen, herausgekommen ist? – Gute Gesetzgebung ist, wenn überhaupt, eine gesetzgeberische Obliegenheit. Der Gesetzgeber schuldet verfassungsrechtlich nichts außer dem Gesetz selbst.

Das bringt uns zum zentralen Kritikpunkt an Ihrem Gesetzentwurf. Sie unterstellen, dass eine Vielzahl von aktuellen, aber auch geplanten gesetzlichen und untergesetzlichen Normen, Berichtspflichten, Rundschreiben und Ähnlichem bürokratische Belastungen seien.

Das ist totaler Unsinn. Nehmen wir einmal ein Beispiel, nehmen wir einmal das Elterngeld und die Elternzeit. Das sind Gesetze, die sind für viele Eltern und viele Kinder ein echter Segen. Keine Normenkontrollprüfung und kein Standardkostenmodell und keine Gesetzesfolgenabschätzung wären in der Lage, bei einem solchen Gesetzesvorhaben die extrem umfangreichen, facettenreichen Auswirkungen auf unsere komplexe Gesellschaft zu prognostizieren oder sogar zu beziffern. Dafür ist unsere Gesellschaft viel zu vielfältig, Gott sei Dank, viel zu komplex, und das ist an der Stelle auch erstens ganz normal und zweitens auch gut so.

Gesetzgebung hat auch etwas mit Technik zu tun, ja, mit Rechtsförmigkeit, auch dafür gibt es ein Handbuch, das brauchen wir nicht neu erfinden. Gesetzgebung ist aber in allerster Linie geronnene Politik, liebe FDP. Sie ist die politisch gewollte Gestaltung der Gesellschaft und keine betriebswirtschaftliche Veranstaltung.

Das ist der Unterschied zwischen Demokratie und Technokratie! Diese Koalition steht für Demokratie, Sie sollten einmal klären, wo Sie stehen, liebe FDP.

Aber selbst, wenn wir einmal innerhalb der Logik Ihres Antrags, ihres Gesetzesvorschlags bleiben, ist er für uns nicht zustimmungsfähig. Zunächst wollen Sie Bürokratie mit Bürokratie bekämpfen – das hat Kollege Dörstelmann auch schon problematisiert –, eine ganz tolle Idee. Ich glaube, das wird nicht gelingen. Ihr Normenkontrollrat würde Stellungnahmen machen, würde Gegenstellungnahmen machen. Ich habe vorher im Bundestag gearbeitet. Da kümmert sich niemand, weder in der Regierung noch im Deutschen Bundestag, um irgendetwas, was dieser Rat aufschreibt. Das ist einfach nur eine lästige Veranstaltung.

Ihr Antrag ist im Übrigen auch eine Ohrfeige für unseren Rechnungshof. Vielleicht ist Ihnen das nicht aufgefallen, aber unser Rechnungshof wurde unter der ehemaligen Präsidentin Claßen-Beblo umgesteuert. Die prüfen nämlich anlassbezogen auch den Erfüllungsaufwand unserer Gesetze und auch die Kosten. Die machen sich da viel Arbeit. Wir kümmern uns in diesem Haus auch darum und nehmen die Anregungen auf und nehmen Änderungen vor. Kollegin Meister weiß das, sie sitzt im Unterausschuss Haushaltskontrolle, zusammen mit mir. Ehrlich gesagt, das ist eine Ohrfeige für die Arbeit des Rechnungshofs. Das finde ich ziemlich schade.

Nein, wir sind dem Antrag gegenüber sehr, sehr skeptisch. Das haben Sie gehört. Ich finde es auch verfassungsrechtlich – also, verfassungsrechtlich? –, ich finde es regelungstechnisch problematisch, das Ding bei der Senatskanzlei anzusiedeln. Gesetzgebung ist Aufgabe der ersten Gewalt. Wenn überhaupt, dann gehört so etwas hierher. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir diesem Antrag als Linksfraktion zustimmen. Ich glaube, Berlin braucht Dringenderes als die Lobbyinteressen der Arbeitgeberverbände hier zu diskutieren und zu beschließen. – Vielen Dank!