Vertrauen zerstören bei denen, die sich tagtäglich den Arsch aufreißen?
Rede der Vorsitzenden der Berliner Linksfraktion, Anne Helm, zur Regierungserklärung "Ein solides Fundament für eine funktionierende Stadt – Berlins Zukunft sichern"
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
Herr Regierender Bürgermeister,
gut, dass Sie sich heute endlich mal zum anhaltenden Haushaltschaos erklärt haben. Darauf haben wir ja lange gewartet. Allerdings hätte ich erwartet, dass Sie sich bei dieser Gelegenheit für das Chaos und die Verunsicherung des vergangenen Jahres entschuldigen. Oder wenigstens eine Spur Selbstkritik erkennen lassen.
Vor ziemlich genau einem Jahr haben Sie an diesem Podium den Mund sehr voll genommen und viele schöne Versprechungen gemacht. Obwohl schon damals klar war, dass ihr Haushalt voller ungedeckter Schecks ist. Sie hatten nicht den Mut, den Menschen die Wahrheit zu sagen. Und heute haben Sie nicht den Mut, diesen Fehler einzugestehen und sich für die Täuschung zu entschuldigen.
Sie haben viele Träger der sozialen und kulturellen Arbeit ein Jahr lang im Unsicheren gelassen, indem Sie deren Zuwendungsbescheide auf ein paar Monate befristet haben. Weil Sie sich bis Weihnachten nicht dazu durchringen konnten, für Klarheit zu sorgen, wissen viele Projekte nun nicht, wie sie rechtzeitig aus Verträgen aussteigen oder Kündigungsfristen einhalten können. Dadurch drohen sie völlig unverschuldet in die Insolvenz zu geraten. Das ist wirklich der Gipfel der Verantwortungslosigkeit.
Herr Regierender Bürgermeister,
dass Sie und Ihre Koalition sich ein Jahr lang immer wieder der Debatte über ihr Haushaltschaos in diesem Haus verweigert haben, zeugt von Geringschätzung des Parlaments. Aber dass Sie bis heute auch der Zivilgesellschaft und den Betroffenen Ihrer Kahlschlagpolitik die Diskussion verweigern, ist ein unverzeihlicher Vertrauensbruch.
Meine Fraktion hat letzte Woche mit Sozialverbänden, Gewerkschaften, Universitäten und Kulturschaffenden zusammengesessen. Niemand von denen hat gesagt, man brauche nicht sparen. Aber alle haben erklärt: Mit uns hat niemand gesprochen. Wir erfahren nur aus der Zeitung, dass bei uns gekürzt wird. Das Vertrauen in Politik und Demokratie sinkt ohnehin schon. Jetzt zerstören Sie es auch bei den Menschen, die sich täglich für Demokratie und sozialen Zusammenhalt den Arsch aufreißen?
Warum haben Sie nicht mit diesen Leuten geredet und gesagt: “Es tut uns leid, wir haben zu viel versprochen und werden um Kürzungen nicht herumkommen. Lasst uns darüber sprechen, wie wir das gemeinsam hinbekommen?” Wir haben Ihnen schon vor einem Jahr vorgeschlagen, einen Pakt mit sozialen Trägern und Wohlfahrtsverbänden zu schließen, damit sie in der angespannten Haushaltslage Planungssicherheit haben und durch Entbürokratisierung bei den Bewilligungen sowohl Haushalt als auch Träger entlastet werden können. Die Sozialdemokraten haben uns damals Panikmache vorgeworfen. Jetzt stehen die Sozialverbände vor einem Scherbenhaufen und das Vertrauen ist zerstört.
Ich erinnere an das Berliner Trauma der letzten Sparjahre. Vor 20 Jahren mussten in diesem Haus schon mal schwierige Entscheidungen getroffen werden, weil ein schwarz-roter Senat Berlin durch den Bankenskandal in den Ruin getrieben hatte. Ich will nicht alle Entscheidungen von damals rechtfertigen. Ich bin als Jugendliche selbst gegen den Ausverkauf der Stadt auf die Straße gegangen.
Aber es gab zumindest einen gemeinsamen Plan, wie man die Stadt neu aufstellen wollte. Nämlich indem man auf Berlins Stärken setzte. Dem damaligen rot-roten Senat war bewusst, dass zu diesen Stärken Kultur, Wissenschaft und das Gesundheitswesen gehören. Und was tun Sie? Sie vergreifen sich an diesen Schätzen der Stadt, die die Grundlagen für den wirtschaftlichen Aufschwung Berlins in den vergangenen 20 Jahren gelegt haben. Die Berlin zu einem weltweiten Anziehungspunkt für viele Menschen und Unternehmen gemacht haben. Die für steigende Beschäftigungszahlen und Steuereinnahmen gesorgt haben. An diese tragenden Säulen, die Berlin ausmachen, setzen Sie jetzt rigoros die Axt an. Davor warnen sogar die Wirtschaftsverbände gemeinsam mit den Hochschulen.
Welche herausragenden Wissenschaftler*innen oder Intendant*innen werden denn in Zukunft noch nach Berlin kommen, wo so mit Ihrem Metier umgegangen wird? Welches Unternehmen, das das kreative Umfeld und die Nähe zur Wissenschaft sucht? Ihre Kürzungen drohen, die Basis zu zerstören, die Berlin sich in den vergangenen Jahrzehnten mit viel Tatkraft und Innovation nach den Verheerungen des Diepgen-Senats aufgebaut hat. Aber wenn Sie große Teile der Kultur- und Wissenschaftslandschaft für verzichtbar halten, wo liegen dann Ihre Prioritäten?
Herr Regierender Bürgermeister,
Sie haben gesagt, ihre Koalition wolle Bildung, Innere Sicherheit und Soziales vor Kürzungen schützen. Die alleinerziehende Mutter, die ihr Teilzeitgehalt mit Bürgergeld aufstocken muss und all die anderen der über 200.000 Nutzer*innen des Sozialtickets dürften bei der Verdoppelung des Preises, den sie für die öffentlichen Verkehrsmittel berappen müssen, von einem sozialen Schwerpunkt nicht viel merken.
Wenn Opern und Theater ihre Eintrittspreise erhöhen und der freie Eintritt am Museumssonntag wegfällt, dann werden Menschen mit wenig Geld von kultureller Teilhabe ausgeschlossen. Dass die Bezirksbibliotheken ihre Angebote und Öffnungszeiten einschränken müssen, trifft auch vor allem die, die sich ein Zimmer mit Geschwistern und Kommilitonen teilen müssen und deshalb öffentliche Lernorte brauchen.
Und wenn die Krankenwohnungen der Caritas für Obdachlose wegfallen und die Sozialbeiträge für das Studierendenwerk steigen, dann wird das erhebliche soziale Folgen haben. Auch der Stopp beim Ausbau des ÖPNV geht zu Lasten derjenigen, die sich kein Auto leisten können. Aber Hauptsache das Parken bleibt bundesweit am billigsten.
Die Hochschulen haben bereits angekündigt: wenn der Senat die Hochschulverträge neu verhandelt, steht auch die Lehrkräfteausbildung zur Disposition. Und die Charité prüft die Streichung ganzer Studiengänge. Woher sollen die qualifizierten Fachkräfte der Zukunft kommen? Das reißt doch noch größere Löcher, die uns teuer zu stehen kommen werden.
Sie streichen bei der schulbezogenen Jugendsozialarbeit, bei der Brennpunktzulage, bei Schultheatern und Elternkursen, bei der queeren Bildungsarbeit. Also da, wo es um den Ausgleich von Nachteilen geht. Im Kapitel Gymnasien wird übrigens nichts gekürzt. Bildung für die Kinder der Besserverdienenden bleibt gesichert und die Benachteiligten müssen sehen, wo sie bleiben. Was ist denn das anderes als Sozialkürzungen?
Wenn man die Auswirkungen aller Maßnahmen in den Blick nimmt, entlarvt sich die Klientelpolitik und die erhebliche soziale Schieflage Ihrer Kürzungspolitik. Sie halten an teuren Prestigeprojekten wie Olympia und NFL fest, während Kinder und Jugendliche sich von der Hoffnung verabschieden müssen, dass Spielplätze und Freibäder in ihrer Nachbarschaft jemals saniert werden.
Aber die Sicherheit. Die ist Ihnen ja ganz wichtig, oder?
Da streichen Sie erstmal die Aufwendungen für die Verbesserung des Schutzes des Landesnetzes zusammen, weil Sie dazu keine Strategie haben. Und das in Zeiten, in denen Cyberangriffe sich häufen und eine zentrale Waffe der hybriden Kriegsführung sind. Da haben wir doch als Hauptstadt eine besondere Verantwortung. Sie haben die Digitalisierung der Verwaltung zu Ihrer persönlichen Chefsache erklärt, Herr Wegner. Das ist ein gefährliches Versagen.
Und auch die Kürzungen im Justizbereich sind gefährlich. Die Resozialisierung ist eine zentrale Aufgabe unseres Justizwesens. Erst lagert man diese Aufgabe fast vollständig an soziale Träger aus, und dann streicht man diese bis zur Arbeitsunfähigkeit zusammen. Nicht nur beim hochgelobten Gefängnistheater aufBruch, -das übrigens die beste Inszenierung der Drei-Groschen-Oper gezeigt hat, die ich je gesehen habe - sondern auch bei denen, die Gefangene auf dem Weg zurück in die Gesellschaft unterstützen. Das ist fahrlässig! Jeder, der sich damit mal beschäftigt hat weiß, dass uns jeder gesparte Euro an dieser Stelle dreimal wieder einholt.
Stattdessen gönnt man sich einen Zaun für mehr als 1,5 Millionen um den Görlitzer Park, der nur Sicherheit simuliert. Ihre Priorität ist nicht der soziale Zusammenhalt in dieser Stadt und auch nicht die Sicherheit der Berlinerinnen und Berliner. Ihre Priorität sind PR Termine, bei denen sie rote Bänder durchschneiden und auf bunte Buzzer drücken können!
Und dabei verbreiten Sie hier weiter die Legende, das alles sei alternativlos. Das glaubt Ihnen wirklich niemand mehr.
Es wäre Ihre Verantwortung gewesen, die Anpassung der Ausgaben an die Einnahmen zeitlich zu strecken. Dafür hatte R2G Rücklagen geschaffen, die Sie komplett geplündert haben. Vertane Chance.
Aber trotzdem haben sie auch jetzt noch Spielräume, um die Einnahmen zu erhöhen. Immerhin, bei der City-Tax, der Zweitwohnungs- und der Vergnügungssteuer folgen Sie unseren Vorschlägen. Ein Jahr zu spät aber gut.
Aber auf den größten Posten, die Grunderwerbsteuer an das Niveau Brandenburgs anzugleichen, verzichten Sie. Das wären 100 Millionen im Jahr. Das würde reichen, damit Herr Chialo sich in der Stadt wieder blicken lassen kann.
Warum wollen Sie dieses Geld nicht? Ihr Freund Gröner wird von dieser Großzügigkeit nichts mehr haben, der ist jetzt insolvent. Vonovia zahlt eh keine Grundsteuer, weil das Steuerschlupfloch bei share deals immer noch nicht geschlossen wurde. Eine-Milliarde-Euro hat dieser schmutzige Trick die Berlinerinnen und Berliner in diesem Jahr gekostet, weil für Immobilienunternehmen nicht die gleichen Pflichten gelten, wie für Menschen, die in ein Eigenheim für die Altersvorsorge investieren.
Und auch auf eine zweite Milliarde verzichten Sie ohne Not. Eine Milliarde könnten Sie in diesem Jahr trotz Schuldenbremse noch an Krediten aufnehmen. Eine Milliarde, mit der Brücken- und Schulbau finanziert und Projekte, die jetzt vor dem plötzlichen Aus stehen, gesichert werden könnten.
Warum nutzen Sie die nicht? Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion sagte es ganz offen: „Wir wollen das nicht, weil wir den Konsolidierungsdruck hochhalten wollen.“
Lieber Torsten, lieber Raed: Meint ihr das ernst? Ihr schickt die Leute, die jeden Tag für den sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt arbeiten, in den Abgrund, weil ihr sonst den Haushalt nicht in den Griff bekommt? Das ist die Politik der Drohung mit der Rute a la Thilo Sarrazin. Berlin kann sich keine zweite Ära Sarrazin leisten!
Nutzt eure letzte Chance, dieses Geld zu mobilisieren und stimmt unserem Änderungsantrag zu!
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Misere der öffentlichen Haushalte ist auch die Folge einer neoliberalen Haushalts- und Steuerpolitik im Bund. Die Schuldenbremse schränkt Spielräume für eine antizyklische Investitionspolitik in der Krise in ökonomisch völlig irrationaler Weise ein.
Wir warten immer noch auf die Initiative des Senats, diesen historischen Fehler zu korrigieren. Die haben Sie auch schon vor über einem Jahr angekündigt, Herr Wegner. Bis Mai hätten Sie dann die Mehrheiten im Bundesrat organisiert, haben Sie mir damals persönlich gesagt. Passiert ist nichts.
Inzwischen haben Bremen und Mecklenburg-Vorpommern die Initiative ergriffen. Wie verhält sich denn Berlin dazu? Die warten auf ein Signal von Ihnen!
Und wir brauchen dringend die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Aber unseren Antrag dazu haben Sie abgelehnt. Doch wenn es Ihnen so wichtig ist, dass die Kassiererin mit ihren Steuern nicht die Operntickets subventioniert, na dann müssen das eben die vermögenden Privatiers und Superreichen machen.
Lieber Senat, kommen Sie zur Vernunft! Nutzen Sie die vorhandenen Spielräume und bereiten Sie sich gemeinsam mit den Betroffenen auf 2026 vor, damit sich dieses würdelose Chaos nicht wiederholt.
Wir werden uns auch weiterhin auf Landes- und Bundesebene für eine Politik einsetzen, die künftigen Generationen eine verlässliche Infrastruktur, nachhaltige wirtschaftliche Substanz und soziale Sicherheit hinterlässt und nicht nur eine schwarze Null.